Sofortversorgung des voll-bezahnten Kiefers mit nicht erhaltungswürdigen Zähnen
23. Juni 2017

Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird das implantologische Sofortversorgungskonzept nach der All-on-4-Methode (Nobel Biocare) angewendet. Ziel ist es, dem Patienten eine kostengünstige festsitzende Alternative bei vollständiger Zahnlosigkeit anbieten zu können. Der Autor zeigt auf, dass die bewährte Behandlungsmethode auch im parodontologisch vorgeschädigten Gebiss in vielen Fällen eine adäquate Lösung darstellen kann.
Wie Sie das All-on-4® Behandlungskonzept in Ihrer Praxis einführen: Acht Tipps von Behandlern.
Die implantologische Sofortversorgung im zahnlosen Kiefer auf einer reduzierten Implantatanzahl wird seit Jahren erfolgreich angewendet. So bietet zum Beispiel das All-on-4-Konzept eine Therapiemöglichkeit, die sowohl sicher als auch vorhersagbar ist und in nur einem Eingriff erfolgt.
Das von Paolo Maló entwickelte Verfahren ermöglicht ein minimal-invasives Vorgehen. Vier Implantate dienen als Basis zur Sofortversorgung des zahnlosen Kiefers mit einem festsitzenden Zahnersatz. Die Implantate werden im anterioren Kieferbereich inseriert, da hier die anatomischen Voraussetzungen in der Regel am günstigsten sind. Umfangreiche augmentative Verfahren können so in vielen Fällen vermieden werden.
Die prothetische Versorgung erfolgt mit zirkulären Brücken. Die gesamte Zahnreihe wird durch eine festsitzende Suprakonstruktion mit Extensionen ersetzt. In zahlreichen Publikationen [bei- spielsweise 1 bis 8] werden gute bis sehr gute Überlebensraten der Implantate sowie der prothetischen Suprakonstruktion beschrieben. Trotzdem gibt es kritische Stimmen, die beispielsweise das parodontologisch vorgeschädigte Gebiss als Kontraindikation aufführen. Die Erfahrung im Praxisalltag ist in vielen Fällen eine andere, was mit diesem Artikel gezeigt werden soll.
Implantate im parodontologisch geschädigten Gebiss
Grundsätzlich ist die implantologische Versorgung von Patienten mit einem parodontologisch stark vorgeschädigten Gebiss eine Herausforderung. Oft sind aufgrund entzündlicher Parodontopathien horizontale und vertikale Knochendefekte entstanden. Der ortsständige Knochen ist für eine sichere Verankerung von Implantaten nach einem konventionellen Konzept häufig nicht ausreichend.
Doch auch diese Patienten wünschen sich oft einen festen Zahnersatz. Sie möchten wieder beschwerdefrei leben und mit einer annehmbaren dentalen Situation am sozialen Alltag teilhaben. Vielfach haben sie einen langen Leidensweg hinter sich. Oft ist die parodontologische Erkrankung auch auf eine über lange Zeit bestehende Zahnarztphobie zurückzuführen. Um diesen Patienten eine dauerhaft erfolgreiche, festsitzende implantologische Versorgung anbieten zu können, ist ein adäquates Management des Parodontalzustands vor, während und nach der Therapie unverzichtbar.
Sollen aufwendige chirurgische Verfahren vermieden werden und eine festsitzende Versorgung erfolgen, ist die All-on-4-Therapie eine effiziente Alternative. Zur gründlichen Evaluierung der Situation gehören die Krankenvorgeschichte, das Erfragen der Patientenerwartungen, die klinische intra- und extraorale Untersuchung sowie die röntgenologische Diagnostik und die Bewertung der Knochenquantität und -qualität. Als Kontraindikationen für das Konzept können dieselben genannt werden wie bei der konventionellen Implantattherapie, so sind auch hier einzelne systemische Erkrankungen beziehungsweise Medikationen in ihrer Summe als Risikofaktor zu sehen. Auch chronische Parodontopathien in Verbindung mit Entzündungsparametern am Zahnhaltapparat müssen als Risikofaktoren betrachtet werden. Die Frage ist, ob man parodontal vorgeschädigte Patienten von dieser wirkungsvollen Therapie ausschließen sollte?
Allerdings besteht die Gefahr, durch diese relativen Kontraindikationen parodontal erkrankten Patienten eine wirkungsvolle Therapie vorzuenthalten. Die Erfahrung im Praxisalltag zeigt, dass bei einer parodontalen Vorbehandlung, der Entzündungsbekämpfung durch begleitende systemische oder lokale Maßnahmen sowie einem disziplinierten Recall das implantologische Sofortversorgungskonzept auf einer reduzierten Implantatzahl auch im parodontal vorgeschädigten Gebiss erfolgreich angewendet werden kann.
Ausgangssituation
Der 65-jährige Patient war aufgrund einer ausgeprägten Zahnarztphobie seit vielen Jahren nicht mehr in zahnärztlicher Behandlung (Abb. 1). Er litt stark unter der Situation seines Zahnstatus und wollte einen „Neuanfang“. Die allgemeine Anamnese war unauffällig. Der Patient ist Nichtraucher. Allerdings wurden in der zahnärztlichen Anamnese multiple Karies, insuffiziente Restaurationen, periapikale Entzündungen sowie Wurzelreste diagnostiziert (Abb. 2). Zudem lag eine generalisierte Parodontitis vor. Ober- sowie Unterkiefer waren parodontologisch stark geschädigt.
Mit dem Patienten wurden die verschiedenen Therapiemöglichkeiten erörtert. Die Sanierung durch eine Parodontalbehandlung und der Versuch des Zahnerhalts stießen aufgrund des hohen Aufwands, des langwierigen Vorgehens und der unsicheren Erfolgschancen auf Ablehnung. Dies kann in solchen Situationen häufig beobachtet werden. Es empfiehlt sich, mit dem Patienten auch über eine großzügige Extraktionsindikation und einen rein implantatgetragenen Zahnersatz zu diskutieren. Auch in diesem Fall wurde der Patient entsprechend ausführlich beraten und entschied sich letztlich für die Implantattherapie. Allerdings wollte er eine komplette Zahnlosigkeit während des Therapieablaufs vermeiden und wünschte sich zudem ein möglichst zügiges Vorgehen. Geplant wurde das All-on-4-Konzept mit einer festsitzenden Sofortversorgung aus Kunststoff. Als endgültige Versorgung sollte eine verschraubte Metallbasis mit Komposit verblendet werden. Zunächst erfolgte eine Parodontaltherapie der Restzähne. Vor Beginn der implantologischen Behandlung wurden basierend auf einer DVT die Implantatpositionen geplant. Zudem wurden die Situation abgeformt und Modelle für die Sofortversorgung hergestellt.
Erste Behandlungsphase
Unmittelbar nach der Extraktion aller Zähne und der gründlichen Säuberung der Alveolen wurden die Implantate (NobelActive, Nobel Biocare) inseriert (Abb. 3a). Die beiden anterioren Implantate (4,3 x 15 mm) wurden relativ gerade in den Kiefer eingebracht. Aufgrund des vergleichsweise guten Knochenangebots bedurfte es bei den posterioren Implantaten (5 x 15 mm) einer Neigung von nur 30 Grad. Das Design des NobelActive-Implantats ermöglicht eine in Relation zum Implantatdurchmesser unterdimensionierte Aufbereitung. Mit seinem konischen Kern und dem spezifischen progressiven Kompressionsgewinde gewährt das Implantat eine Art Osteotomeffekt, also eine leichte Knochenverdichtung.
Mit dem schrägen Einbringen der posterioren Implantate in den vorhandenen Knochen konnte das Knochenniveau optimal ausgenutzt und eine günstige Pfeilerverteilung geschaffen werden. Das verwendete Implantatsystem ist für die Sofortbelastung hervorragend geeignet; mit den Implantaten kann eine hohe Primärstabilität erreicht werden, wodurch sich unter anderem die hohe Erfolgsquote des All-on-4-Behandlungskonzepts zu erklären scheint.
Für alle Implantate im Ober- sowie Unterkiefer konnte die erforderliche Primärstabilität validiert werden. Einer Sofortversorgung stand somit nichts im Wege. Passend zum Implantat werden systemspezifische Aufbauten angeboten. Die konfektionierten, angulierten Abutments (Multi-unit-Abutment, Nobel Biocare) sind eine Basiskomponente für die All-on-4-Therapie (Abb. 3b). Sie gleichen die Angulation der endständig inserierten Implantate aus, sodass eine einheitliche prothetische Einschubrichtung gewährleistet wird. Die Abutments wurden mit einem Drehmoment von 35 Ncm mit den Implantaten verschraubt (Abb. 3) und anschließend die Kappen für die Verklebung mit dem Interimszahnersatz aufgebracht. Nach einer Überabformung wurden der vom Zahntechniker vorbereitete Zahnersatz – Interims-Totalprothesen – durch den Zahnarzt angepasst und das Ergebnis an das zahntechnische Labor übergeben. Hier konnten die Prothesen innerhalb kurzer Zeit entsprechend dem Implantatmodell angepasst und zu Brücken umgearbeitet werden. Zudem erfolgte das definitive Verkleben der Abutmenthülsen auf dem Modell. Wenige Stunden nach der Insertion wurden die provisorischen Brücken auf den Implantaten verschraubt und der Patient mit festem Zahnersatz aus der Praxis entlassen.
Zweite Behandlungsphase
Nach einer Einheilzeit von acht Wochen begann die Umsetzung der definitiven prothetischen Therapie. Zunächst wurden anhand der provisorischen Versorgung die funktionell-ästhetischen Kriterien für den definitiven Zahnersatz geplant und fotografisch dokumentiert (Abb. 6). Die Bilder dienten dem hauseigenen Zahntechniker als Orientierung beim Herstellen des Mock-ups. Bei intraoralen Anproben konnten funktionell, ästhetisch und phonetisch alle notwendigen Parameter festgelegt und das Ziel definiert werden (Abb. 7 und 8).
Beim Herstellen der Suprakonstruktion wurde die evaluierte Situation auf das CAD/CAM-gestützt gefertigte Gerüst übertragen. An diesem Punkt sei die gute Zusammenarbeit zwischen Praxis und Labor erwähnt, die für ein effizientes Vorgehen eine Voraussetzung ist. Für die Suprakonstruktion stehen verschiedene Konzepte zur Auswahl, der Patient entschied sich für ein zu verschraubendes Metallgerüst, mit Komposit verblendet. Der Zahntechniker erstellte hochwertige Kompositverblendungen mit einer individuellen Schichtung im Frontzahnbereich (Abb. 9). Die Brücken wurden im basalen Bereich so gestaltet, dass die häusliche Mundhygiene gewährleistet ist.
Nach Abnahme der provisorischen Versorgung wurden die definitiven Brücken mit den Implantaten verschraubt und nach einer Kontrolle der Passung sowie der funktionellen und ästhetischen Parameter die Schraubenkanäle mit Kunststoff verschlossen (Abb. 10 und 11). Der Patient war rundum zufrieden mit seinen neuen festen Zähnen, was körperlich, psychisch und sozial positive Auswirkungen hatte.
Er fand mithilfe dieses implantologischen Therapiekonzepts All-on-4 einen Neuanfang für sein Leben (Abb. 12 und 13). Durch die Sofortversorgung und Sofortimplantation nach Entfernen der parodontal geschädigten Zähne konnte ihm sogar die häufig emotional belastende Phase eines abnehmbaren Zahnersatzes erspart bleiben. Der Patient hält sich diszipliniert an die notwendigen häuslichen Mundhygienemaßnahmen. Zudem ist er in einen engmaschigen Recall eingebunden.
Parodontitis ist eine der Hauptursachen für den Zahnverlust. Der Ausschluss dieser Patientengruppe aus implantologischen Therapiekonzepten würde eine Mehrheit der Patienten betreffen. Die Erfahrung in der Praxis zeigt, dass auch parodontal vorgeschädigte Patienten nach dem implantologischen Sofortversorgungskonzept All-on-4 erfolgreich behandelt werden können – eine gründliche Vorbehandlung und eine fachgerechte Nachsorge vorausgesetzt. Die Abbildungen 14 und 15 zeigen exemplarisch einen Patientenfall vor und fünf Jahre nach der Versorgung mit der All-on-4-Therapie. In dem Fall konnte dem Patienten in einem vergleichsweise wenig invasiven Vorgehen und innerhalb kurzer Zeit ein festsitzender Zahnersatz eingesetzt werden. Die Situation nach mehrjähriger Tragezeit des Zahnersatzes ist stabil, und die Patienten sind nach wie vor sehr zufrieden.
Dr. Yasin Aktas,
MSc Oralchirurgie/Implantologie, Duisburg
Das Literaturverzeichnis ist als PDF im ePaper unter dzw.de zu finden oder kann unter leserservice@dzw.de angefordert werden.
Quelle: DZW Orale Implantologie 2/17