Sofortimplantation und Sofortbelastung in der ästhetischen Zone
20. April 2018
Autor: Univ.Prof. DDr. Gabor Tepper, www.tepper.at
IMPLANTOLOGIEMARKT 2016 – FALLBERICHT Es kann heute selbst bei konservativstem Zugang zur Implantologie nicht mehr geleugnet werden, dass die Sofortimplantation mit oder ohne Sofortbelastung kein flüchtiges Phänomen, sondern eine grundlegende, sich stetig weiterentwickelnde Technik ist, die bei Behandler- wie Patientenseite wachsendes Interesse – von Skepsis bis Befürwortung – weckt. Eine besondere Herausforderung innerhalb des Fachgebiets stellt die implantologische Versorgung der Oberkieferfront dar, da es sich um die zentrale Zone der Ästhetik, Phonetik und Funktion handelt. Gerade hier sind Patienten heute immer weniger willens, die früher allgemein üblichen und akzeptierten Einbußen in ihrer Lebensqualität durch protrahierte Behandlungsdauer und insuffiziente, abnehmbare Provisorien zu akzeptieren. Im Folgenden soll das Prozedere bei mehrstelligen sofortimplantologischen, sofortbelasteten Fällen in der anterioreren Maxilla demonstriert werden.
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In der bemerkenswerten Arbeit von Pommer et al. 2014 äußerten sich 20 Prozent der implantologisch tätigen Zahnärzte dahingehend, dass sie die Sofortimplantation an sich für nicht wissenschaftlich belegt und nicht evidenzbasiert halten, sondern für eine hochriskante Methode. Auf welchen Grundlagen basiert diese Abwehr und Skepsis?
Während Quirynen et al. 2007 zu der Aussage kamen, dass tatsächlich keine ausreichende Datenlage vorliegt, um die Sofortimplantation zu stützen, legten bereits 2010 Esposito et al. den ersten Cochrain Review mit sieben randomisierten Studien vor, gefolgt 2012 von N.P. Langs Arbeit über 46 Publikationen, welche eine 98-prozentigen Zwei-Jahres-Erfolgsrate belegten. Aktuell liegt bereits eine Metaanalyse über 73 Studien von Chrcanovic et al. (2015) vor und beinahe täglich kann man in wissenschaftlichen Datenbanken das immense Wachstum des Stellenwertes dieser Methode in der implantologischen Arena anhand der aktuellen Wissensexplosion mitverfolgen.
Innerhalb dieses aktuellen Diskurs berichten erfahrenste Implantologen unisono, dass sie, bei sorgfältigster Indikationsstellung und case-selection, diese Techniken aus ihrer täglichen Praxis nicht mehr wegdenken können, zu groß seien die eindeutigen Vorteile: Die Erfolgsraten sind schon seit Jahren vergleichbar mit verzögert oder spät gesetzten Implantaten – sie liegen quer durch die Literatur bei über 95 Prozent (Den Hartlog et al., 2008). Auch eine dramatische Abkürzung der Behandlungsdauer, enorme Patientenzufriedenheit und eine äußerst positive Wirkung auf die Reputation des Behandlers mit intensiver Patientenbindung und -weiterempfehlung sind nicht zu leugnende Erscheinungen im Zusammenhang mit Sofortimplantaten. Darüber hinaus vermelden Überweiserpraxen einen eindeutigen Anstieg des Patienteninteresses und der Fallzahlen.
In Bezug auf die implantologische Versorgung der ästhetisch sensiblen Oberkieferfront liegt es in der Verantwortung des Behandlers, von Fall zu Fall die richtige Vorgehensweise nach Analyse aller Risiken auszuwählen. Selbstverständlich sind dem Patienten alle Behandlungsalternativen mit Pro und Kontra darzulegen. Dabei sollte vermieden werden, pauschale Urteile über Methoden und Techniken zu fällen. Insofern verlangt die Sofortimplantation und Sofortversorgung dem Behandler eine durchaus steile Lernkurve und einiges an „Kilometern“ ab.
Des Weiteren muss hierbei berücksichtigt werden, dass der sprichwörtliche „Zahn der Zeit“ an unseren Arbeiten nagt, das heißt, dass weniger das optische Erscheinungsbild der neu eingesetzten Implantatkronen und -brücken über den Implantaterfolg entscheidet, sondern vielmehr, wie stabil sich die periimplantären Gewebestrukturen über viele Jahre in Bezug auf Rezessionen verhalten. Heute wissen wir, dass bei Berücksichtigung der Regeln der Zeitpunkt der Implantation keinen Einfluss hat auf die bukkale Lamelle und das periimplantäre Knochenniveau (Schropp et al., 2014). Vielmehr lässt sich erkennen, dass eine beträchtliche Zahl augmentativer Eingriffe eingespart werden kann. Frühere Arbeiten, welche bei der Sofortimplantation über hochgradige Resorptionen berichteten, stammen überwiegend aus den 1990er-Jahren und – wie häufig am Bildmaterial erkennbar – wurden dabei durchweg, wie damals üblich, zu dicke und zu bukkal gesetzte Implantate verwendet, welche durch Kompression der dünnen Knochenlamellen deren partiellen Verlust ursächlich verantworteten.
Ein weiterer Aspekt in diesem thematischen Zusammenhang ist die Angst, in eine in zierte Alveole ein Sofortimplantat zu setzen. In den meisten Fällen ist diese jedoch unbegründet. Zuallererst muss natürlich unterschieden werden zwischen akuten eitrigen Infekten – diese erfordern je nach Erfahrung wesentlich mehr Zurückhaltung – und dem meist unbedenklichen chronisch asymptomatischen Granulom (Jofre et al., 2012). Chorbella et al. (2013) und Altares-Camino (2013) berichten von 92 bis 100 Prozent Erfolg bei Sofortimplantaten in in zierten Alveolen, ebenfalls sehen Fugatos (2012) und Jung et al. (2013) idente Resultate von 98 Prozent bei der genannten Indikation. Bemerkenswert ist die Erkenntnis von Bell et al. (2011), dass hingegen eine apikale Infektion des Nachbarzahnes eines Sofortimplantates die Erfolgsrate auf 81 Prozent absenkt.
Unter den Publikationen mit den klinisch schlechtesten Resultaten findet man eine Arbeit von Atieh et al. (2009). Dieser berichtet von einer 3,5-fachen Implantatverlustrate bei sofortbelasteten Sofortimplantaten in der Oberkieferfront verglichen mit konventionell versorgten Spätimplantaten. Penarrocha-Diago et al. (2012) halten jedoch fest, dass 72 Prozent aller Frühverluste in der Einheilphase statt finden und dadurch der Schaden limitiert sei, da zu dem gegebenen Zeitpunkt noch keine prothetischen Laborkosten angefallen sind. Viele Kliniker warnen weiterhin vor der implantologischen Versorgung von Patienten mit entzündlicher Parodontalerkrankung. Schou et al. (2006) berichten hierzu von signifikant erhöhten Periimplantitisraten bei Parodontitispatienten. Dem seien jedoch kommentarlos die rezenten Daten von Malo et al. (2014) entgegenzustellen, wonach diese Gruppe 99,4 Prozent Erfolg verzeichnet mit sofortbelasteten Sofortimplantaten bei Individuen mit nichtbehandelter Parodontitis.
Ebenso sei an dieser Stelle auch auf Busenlechner et al. (2015) hingewiesen, die in ihrer Publikation auf einen signifikant höheren marginalen Knochenverlust bei Parodontitispatienten nach fünf Jahren hinweisen.
Zu den für den Implantologen relevantesten Fragen gehört das Einheilverhalten des Sofortimplantates und die eifrig geführte Diskussion, ob, wann und wo- mit der verbleibende Spalt zur randständigen Alveolenwand gegebenenfalls aufgefüllt werden solle oder nicht. Eine nicht zu unterschätzende Bedeutung hat hier die globale Industrie, welche in ihrer Eigenschaft als Hersteller diverser Knochenersatzmaterialen nachvollziehbares Interesse an der Diskussion hat. Im Augenblick halten einander die „Jumping-Gap-Auffüller“ mit den „Nicht-Auffüllern“ in etwa die Waage. Eine schlüssige Datenlage über die Effektivität simultaner augmentativer Verfahren und damit ein Consensus scheint bisher in weiter Ferne. Klar ist, dass die Sofortimplantation die Regeneration der Extraktionsalveole nicht behindert (Clementini et al., 2015). Weiterhin heftig diskutiert wird die erforderliche Primärstabilität für eine etwaige Sofortbelastung. Neugebauer et al. (2006) forderten ein Minimum von 35 Ncm, Norton berichtete 2011 über einen 96-prozentigen 5-Jahres-Erfolg bei sofortbelasteten Implantaten unter 25 Ncm Primärstabilität und Becker et al. (2011) gehen von einer erfolgreichen routinemäßigen Sofortbelastung bei lediglich 15 Ncm aus. In diesem Zusammenhang verweisen Gonzales-Martin et al. (2012) auf die Möglichkeit, selbst bei schlechter Knochenqualität durch entsprechende Adaptation des Bohrprotokolls – Unterpräparation – in fast jedem Fall die für eine Sofortbelastung erforderliche initiale Festigkeit des Implantates erreichen zu können. Nicht näher analysieren – aber an dieser Stelle erwähnen – sollte man die Feststellung von Atieh et al. (2012), wonach die während der Implantatinsertion erreichte Primärstabilität zur verlässlichen Vorhersage der erfolgreichen Osseointegration sowieso ungeeignet sei.
Fallbeispiele
Bei den folgenden Fallbeispielen wurden Implantate von NobelReplaceTM CC PMC verwendet, deren konische Innenverbindung gemeinsam mit dem Platform Shift besonders bei der Sofortimplantation die Belassung überstehender Alveolarknochenanteile erlaubt, welche bei ach andockenden Implantaten mit gleichbleibender Plattformdimension in der Regel verloren gehen. Bei dem ersten Fallbeispiel handelt es sich um zwei Implantate (4-stellig), bei Fall 2 um drei Implantate (6-stellig).
Fallbeispiel 1
- Patientin (weiblich, Mitte 50) erscheint mit frakturierter Oberkieferfront und hochmobilen 12/22 (Abb. 1)
- lappenloses operatives Vorgehen – Implantate an den Positionen 12 und 21 (Abb. 2)
- Abformpfosten in situ (Abb. 3)
- Röntgenkontrolle der Abformpfosten zeigt Erhalt des marginalen Knochens als spätere Weichgewebsstütze (ermöglicht durch Implantattyp NobelReplaceTM CC PMC – mit Platform Shift (Abb. 4) und simple durchgeschraubte Abformung mit einem Einmallöffel (Abb. 5)
- Abb. 6 und 7 zeigen Implantatachsen anhand postoperativer DVT-Aufnahmen in den für Sofortimplantate typischen Positionen
- provisorische Acrylbrücke (Abb. 8) palatinal verschraubt durch ideale Implantation (Abb. 9), klinische Ansichten unmittelbar postoperativ (Abb. 10 bis 12)
- zwölf Wochen später erfolgt die definitive prophetische Versorgung, es bestehen blande, straffe Weich- und Hartgewegsverhältnisse (Abb. 13, 14)
- keramische Versorgung in vestibulärer und palatinaler Ansicht (Abb. 15,16) wird durch das letzte Röntgenkontrollbild komplettiert (Abb. 17)
- hierbei zeigt sich der ideale Erhalt der knöchernen Strukturen oberhalb der Schulter der Implantate
Fallbeispiel 2
- Patient (männlich, Anfang 60) weist hochmobile, kariös und parodontal destruierte Front bei starkem Fehlbiss vor (Indikation zur Extraktion, Abb. 1 und 2)
- nach allgemein akzeptierten Regeln gesetzte Sofortimplantate (Nobel-ReplaceTM CC PMC) sind durchmesserreduziert, palatinal versetzt und üben durch Belassung eines sogenannten jumping-gaps (Spalt) keinerlei Druck auf die bukkalen Lamellen aus (Abb 3)
- Spalten werden nicht aufgefüllt
- intraoperative Abdrucknahme mit durchgeschraubten Abformpfosten und unter Verwendung eines handelsüblichen Einmallöffels (Abb. 4)
- die eine Stunde später fertige provisorische Acrylbrücke kann aufgrund der idealen Implantatachsen simpel durchgeschraubt werden mit provisional titanium abutments (NobelReplaceTM CC PMC) (Abb. 5).
- zwei Wochen nach Sofortimplantation und Sofortversorgung sind klare, blande Verhältnisse bei allmählich konsolidiertem Gingivaverlauf und die Lachlinie des Patienten (Abb. 6 bis 8) erkennbar
- definitive Versorgung nach zwölf Wochen, nach Abnahme vom Modell, vor Verschluss der Schraubkanäle und nach dem Einsetzen (Abb. 9 bis 11)
Literatur: https://www.zwp-online.info/sites/default/files/literaturlisten/literaturliste_tepper.pdf
Quelle: ZWP 01-2016, oemus