Periimplantitis lässt sich mikrobiologisch nicht sicher diagnostizieren

6. April 2018

Prof. Dr. Christof Dörfer, Präsident der DG Paro 2017, Dr. Dirk Ziebolz, Preisträger des Implantat- forschungspreises, Dr. Ralf Rauch, Nobel Biocare (von links)

Der Implantatforschungspreis 2017 der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie ging an PD Dr. Dirk Ziebolz, MSc (Universität Leipzig). Der von Nobel Biocare jetzt zum neunten Mal gestiftete Preis ist mit 5.000 Euro dotiert und fördert herausragende Forschung auf den Gebieten periimplantäre Entzündungen und Implantattherapie im parodontal vorgeschädigten Gebiss. Im für das Unternehmen geführten Interview gibt Dr. Ziebolz Einblick in die Arbeit seiner Gruppe* und nimmt Stellung zur aktuellen Periimplantitis-Diskussion.

Herr Dr. Ziebolz, zunächst darf ich Ihnen zu dieser Auszeichnung gratulieren. Was haben Sie in Ihrer Studie herausgefunden?

Dr. Dirk Ziebolz: Wir haben bei 89 Recall-Patienten 171 Implantate nachuntersucht, die vor mindestens zwei Jahren implantologisch versorgt worden waren. 39 Implantate (23 Prozent) hatten eine Mukositis, also mindestens 4 Millimeter (mm) Taschentiefe mit Sondierungsblutung. 16 Implantate (9 Prozent) hatten eine Periimplantitis, mit zusätzlichem röntgenologischem Knochenverlust von mehr als 3 mm nach Implantation und gegebenenfalls Pus-Austritt. Die übrigen 116 Implantate (68 Prozent) zeigten keine klinischen Symptome einer periimplantären Erkrankung.

Wir bestimmten weiterhin im Sulkus uid um die Implantate verschiedene Mikroorganismen, die als potenziell parodontal-pathogen gelten. Das Spektrum war in Taschen, die als gesund oder krank (Mukositis oder Periimplantitis) diagnostiziert wurden, vergleichbar. Nur die Zahl einiger Mikroorganismen war bei festgestellter Entzündung zum Teil erhöht.

Die mikrobiologischen Befunde halfen zudem nicht dabei, zwischen Mukositis und Periimplantitis zu unterscheiden. Das bedeutet, dass sich eine periimplantäre Erkrankung mit mikrobiologischen Testsystemen weder feststellen noch sich ihr Schweregrad differenzieren lässt. Diese Tests haben demnach in diesem Bereich keinen wesentlichen diagnostischen Nutzen.

Zudem haben wir die aMMP-8-Konzentration aus der Sulkusflüssigkeit der implantatumgebenden Tasche evaluiert. Auch hier konnten wir keine signifikanten Unterschiede zwischen gesunden Implantaten und solchen mit diagnostizierter Mukositis beziehungsweise Periimplantitis feststellen. Somit ist auch der diagnostische Einsatz solcher Testsysteme zur Differenzierung periimplantärer Erkrankungen als fraglich einzustufen.

Wie sieht es mit den Entzündungsmarkern aus? Werden sie in Zukunft Röntgen und Sonde ablösen?

Ziebolz: Biologische Marker können aus meiner Sicht kein primäres Diagnostikum sein. Vielmehr wird die klinische Diagnostik immer die Basis bleiben. Nach aktuellen Erkenntnissen verrät uns kein einzelner Biomarker, welchen Entzündungszustand wir aktuell haben und in welcher Richtung die Erkrankung weiter verläuft. Das Sondieren am Implantat wird daher (zunächst) der „Goldstandard“ bleiben, denn nur so kann die vorliegende klinische Situation am sichersten festgestellt werden.

Mit dem aMMP-8-Test konnten wir unter unseren Testbedingungen keine signifikanten Unterschiede zwischen gesundem Gewebe, Mukositis und Periimplantitis feststellen. Somit erlaubt ein hoher Wert nicht die sichere Diagnose einer Periimplantitis, ein niedriger umgekehrt nicht die Diagnose gesundes Gewebe. Insgesamt ist daher der Nutzen von aMMP-8-Tests zurzeit mit Unsicherheit behaftet.

Wenn man sich die Grafiken in unserer Publikation näher ansieht, lassen sich durchaus ein paar Beobachtungen machen. So sind die aMMP-8-Befunde bei Entzündung gegenüber gesundem Gewebe tendenziell erhöht. Weiterhin lagen die höchsten Werte bei Mukositis vor – und nicht, wie zu vermuten wäre, bei Periimplantitis. Möglicherweise verschleiert die regelmäßige Belagentfernung in den Recall-Sitzungen einen Teil der Aktivität, die wir sonst hätten messen können. Das ist aber noch Spekulation.

Klinischer Fall einer Periimplantitis mit primärer Detektion der klinischen Situation über Sondierung und anschließender radiologischer Verifizierung des vorliegenden Knochenabbaus

Warum sind die Entzündungsmarker bei Mukositis höher als bei Periimplantitis?

Ziebolz: Für diese Beobachtung haben wir eine Vermutung, die wir in unserer Publikation ebenfalls noch nicht ausreichend diskutiert haben. Es sind noch weitere Untersuchungen erforderlich, an dieser Stelle nur so viel: Das Enzym aMMP- 8 ist eine Kollagenase, die Bindegewebe spaltet. Bei erhöhten aMMP-8-Werten ist sie aktiv, es wird also tatsächlich Weichgewebe abgebaut. Das kann relevant sein oder auch nicht, man stelle sich eine Waage vor, die sich bei zu starkem Abbau in eine Richtung neigt – so beispielsweise zum Entstehen und Progression einer Periimplantitis.

Nun ist es aber so, dass auch die klinische Diagnostik nicht immer zuverlässig ist, das gilt leider auch für das Bluten auf Sondieren. Hier könnten Biomarker perspektivisch helfen, den Erkrankungsgrad feiner zu differenzieren. aMMP-8 und andere Faktoren, die wir jetzt noch gar nicht kennen, könnten zu einem besseren Erkrankungsverständnis beitragen. Wir werden vielleicht Therapieschwellen erkennen und darauf reagieren können, bevor es zu spät ist. Aktivität könnte erkennbar werden, bevor die Sondierungstiefe zunimmt, es blutet und der Knochenabbau begonnen hat. Wir müssten der klinischen Diagnostik nicht mehr hinterherlaufen. Die Zukunft wird zeigen, ob das gelingt.

Auf Fachveranstaltungen führen unterschiedliche Definitionen von Periimplantitis immer wieder zu Diskussionen. Ist ein Konsens in Sicht?

Ziebolz: Die europäische (EFP) und die US-amerikanische (AAP) parodontologische Fachgesellschaft haben im November 2017 erstmals einheitliche diagnostische Kriterien für periimplantäre Entzündungen definiert. Das war längst überfällig, und es bleibt für dieses Jahr nun die erstellte Definitionsfindung abzuwarten. Die Kontroversität beruht aus meiner Sicht unter anderem auf der Frage, wer eigentlich für die Therapie der Erkrankung zuständig ist. Ist es der Chirurg, der die Implantate setzt, der versorgende Hauszahnarzt und Prothetiker oder der Parodontologe? In den USA zum Beispiel ist die Implantologie vorwiegend in Händen der Parodontologen, die ganzheitlicher auf Mundgesundheit achten. In Deutschland ist das differenzierter.

Wie stehen Sie zu dieser Frage?

Ziebolz: Viel wichtiger als die Zuständigkeiten ist mir die Frage, wie sich Periimplantitis vermeiden lässt oder ob sie überhaupt vermieden werden kann. Diese Diskussion auf den wissenschaftlichen Kongressen vermehrt zu führen, würde ich begrüßen. Ich habe bis heute nicht verstanden, warum bisher fast immer hauptsächlich über die Therapie von Periimplantitis gesprochen wird. Glücklicherweise ist hier ein Umdenken im Gange, es wird vermehrt über Prävention und Risikomanagement diskutiert. Periimplantitis ist dabei natürlich auch für die Implantatindustrie nachteilig, weil Misserfolge auf sie zurückfallen können.

Sind diese Vorwürfe gerechtfertigt? Welche Rolle spielen unterschiedliche Implantatdesigns und Oberflächen?

Implantatversorgungen sind ein zahnmedizinischer Meilenstein. Durch den „Periimplantitis-Tsu-nami“ geraten sie aber bei Patienten in Verruf. Als behandelnde Zahnärzte geraten wir in Argumentationsnot. Implantate werden von manchen als schädlicher Fremdkörper angesehen. Unverträglichkeiten oder Allergien spielen aber wahrscheinlich nur in seltenen Fällen eine Rolle. Wenn geeignete klinische Konzepte angewendet werden, lassen sich periimplantäre Entzündungen weitgehend vermeiden.

In Bezug auf die Hardware gibt es praktisch keine Unterschiede zwischen den großen, globalen Herstellern, zu denen auch Nobel Biocare gehört. Anwender sollten darauf achten, dass ihr Implantatsystem wissenschaftlich gut dokumentiert ist. Leider ist das bei vielen Anbietern nicht der Fall.

Welche Faktoren haben den größten Einfluss?

Ziebolz: Periimplantitis wird es immer geben. Aber je früher ich die Erkrankung erkenne und therapiere, desto einfacher und erfolgversprechender ist meine Intervention. Zu spät erkannt, ist die Periimplantitis kaum beherrschbar. Deshalb sollten vor einer Implantatbehandlung bekannte Risikofaktoren abgeklärt werden. Zu diesen gehören eine Parodontitis-Vorgeschichte und Rauchen. Implantate und Suprakonstruktionen müssen so geplant werden, dass sie sich gut reinigen lassen. Prothetik und Chirurgie müssen gut aufeinander abgestimmt werden. Wichtig ist auch ein gutes Weichgewebsmanagement.

Weiterhin sollten Patienten im Vorfeld aufgeklärt werden, dass eine intensive Nachsorge nötig ist. Basis ist eine gute häusliche Mundhygiene, also eine gute Umsetzung der professionellen Instruktionen. Ergänzt wird dies durch eine geeignete professionelle Biofilmentfernung. Diese sollte im ersten Jahr drei bis viermal und ab dem zweiten Jahr zweimal jährlich durchgeführt werden. Bei entsprechenden Risikofaktoren sind weiterhin drei bis vier Sitzungen pro Jahr nötig.

Ziel muss es sein, pathologische Veränderungen durch Sondierung und klinische Inspektion frühzeitig zu erkennen, um ein Fortschreiten zu verhindern. Radiologische Untersuchungen sind nur indikationsbezogen zu rechtfertigen, zum Beispiel bei Zunahme der Sondierungstiefe. Weiterhin müssen die Risikofaktoren regelmäßig neu eingeschätzt werden. Zu diesen gehört auch eine mangelnde häusliche Biofilmkontrolle durch den Patienten. In der Summe lässt sich das biologische Gleichgewicht bei den meisten Patienten mit Erfolg aufrechterhalten.

* Ziebolz D, Schmalz G, Gollasch D, Eickholz P, Rinke S. Microbiological and aMMP-8 ndings depending on peri-implant disease in patients undergoing supportive implant therapy. Diagn Microbiol Infect Dis 2017;88:47-52.

Quelle: DZW Orale Implantologie 01-2018

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