Dynamisch navigierte Implantation ohne OPSchablone – Fast wie GPS für die Implantologie
14. Dezember 2018
Nobel Biocare eröffnet seit Kurzem eine neue Möglichkeit der geführten Implantation ohne Bohrschablone. Mit dem Einsatz von
X-Guide lässt sich die von Nobel Biocare erstellte Implantatplanung dynamisch umsetzen. Dabei ermöglicht computergestützte Implantatchirurgie eine vollständige dreidimensionale Echtzeitkontrolle des Bohrers bei Osteotomie sowie bei der Einbringung des Nobel Biocare-Implantats. Zudem erlaubt das Verfahren, Notfallversorgungen oder Diagnose plus Versorgung eines Patienten am selben Tag durchzuführen. Im Gespräch mit Natascha Brand erläutert Dr. Pascal Kunz, Vice President Digital Solutions bei Nobel Biocare, welche Vorteile die dynamische Navigation mit X-Guide dem Behandler im Praxisalltag bietet.14
Herr Dr. Kunz, Sie sind als Vice President Digital Solutions für das neue X-Guide verantwortlich. Um was geht es dabei?
Dr. Pascal Kunz: X-Guide ist ein chirurgisches 3-D-Navigationssystem, das einen optimierten Arbeitsablauf für dynamisch geführte Chirurgie unterstützt. In das Gerät, das für sich allein steht, sind bereits alle Funktionen integriert, um eine geführte Chirurgie durchführen zu können – von der Planung bis zur Umsetzung der Chirurgie. Es ermöglicht dem Behandler, den dreidimensionalen (DVT) CT-Scan und intraorale Oberflächenscans am Tag der Behandlung durchzuführen. Noch effizienter wird es für Nobel Biocare Anwender, die DTX Studio Implant, vormals NobelClinician Software, benutzen. Diese können direkt in ihrer vertrauten Sofware-Umgebung den Fall mit SmartFusion und SmartSetup (das heißt mit automatisch generierter Zahnaufstellung) planen und mit allen Planungskomponenten direkt in X-Guide exportieren. Die Praxis kann somit unmittelbar nach der Planung eine 3-D-gestützte Zahnimplantation vornehmen. Nobel Biocare bringt also X-Guide in einer exklusiven Vertriebskooperation als Teil eines integrierten Workflows für die Implantologie auf den Markt. Als Arzt und Zahnarzt wissen Sie aus eigener Erfahrung, dass neue Technologie sich daran messen lassen muss, wie gut sie in den individuellen Behandlungsablauf integriert werden kann.
Wie funktioniert der X-GuideWorkflow und wie lässt er sich in den digitalen Behandlungsablauf einer Praxis implementieren?
Dr. Pascal Kunz: Navigierte Chirurgie bedeutet bei X-Guide normale Chirurgie mit Standardkomponenten (normale Bohrerlängen) ohne taktile Einschränkungen, also ohne Schablone, und dennoch die Möglichkeit zu sehr präzisem Implantieren. Dabei werden Patientenposition und Winkelstück mitsamt Bohrern oder Implantat von der Navigationseinheit „verfolgt“ und gleichzeitig und in Echtzeit in Relation zur eben definierten Planung verbunden. Alle relevanten Informationen werden dann in einem sehr übersichtlichen Bildschirm zusammengebracht und ermöglichen eine vollständige Kontrolle der jeweiligen Operation. Die 3-D-Implantatplanung kann auch direkt auf der Einheit erstellt werden, und das X-Guide-Gerät ist somit auch eigenständig operationsfähig. Im Nobel Biocare-Workflow wird mit X-Guide eine Lücke im integrierten implantologischen Workflow geschlossen: Auch der Notfallpatient kann ohne Warten auf das Herstellen einer Bohrschablone unmittelbar nach dem DVT therapiert werden. Gerade in solchen Situationen standen digitale Helfer bisher nicht unmittelbar zur Verfügung gestanden. Das ändert sich nun und die neue Software „DTX Studio Implant“ wird mit der engen Anbindung zu X-Guide nochmals zusätzliche Effizienz und Behandlungssicherheit bringen. Ist der Implantatplan erstellt, hat der Behandler mehrere Optionen. Er kann zum einen eine entsprechene Bohrschablone (fully guided) oder eine Schablone für die geführte Pilotbohrung bestellen, um dann weiter freihand zu inserieren. Das ist seit Mitte dieses Jahres auch bei uns als Laborleistung möglich, das heißt, das Labor kann mit der Anfertigung der Bohrschablone beauftragt werden. X-Guide bietet nun die dritte Option mit der dynamisch geführten Navigation, ohne Schablone. Damit sind die Planungen sehr flexibel umsetzbar. Etwa fünf Prozent unserer Implantate werden direkt mit Nobel Guide gesetzt. Die Bohrschablone ist immer noch eine Nische und das Inserieren freihand ist in den meisten Fällen immer noch das Mittel der Wahl. Wir wissen aber auch, dass dabei viele später nicht mehr korrigierbare Positionierungsfehler gemacht werden können, in Abhängigkeit von der individuellen Tagesform des Chirurgen. Man möchte zwar alles dem Plan entsprechend umsetzen, verliert jedoch in der Realität oft die Übersicht – und genau das will X-Guide kompensieren. Zwar setzt der Behandler immer noch alles mittels eigener Feinmotorik um, dennoch kann er jederzeit verifizieren und sich während der Umsetzung verbessern und Positionierungsfehler vermeiden. Dies ist insbesondere wichtig für das Treffen des richtigen Eintrittspunkts, aber auch für den gesamten Bohrverlauf der verschiedenen Instrumente zum Aufbereiten des gesamten Implantatbetts sowie für die Implantatinsertion.
Wie präzise ist das System im Vergleich zur Bohrschablone und im Vergleich zum Freihandvorgehen?
Wir verfügen über eigene Daten, mit denen wir Freihand-Chirurgie mit schablonengeführter verglichen haben. Die Präzision bei schablonengeführten Implantationen liegt bei 0,2 mm – FreihandChirurgie ist mindestens um den Faktor 2 ungenauer. Mit X-Guide erreichen wir ungefähr den gleichen Präzisionswert wie mittels einer schablonen-geführten Chirurgie, viel präziser als Freihand-Chirurgie. Aber auch da hängt das „präziser“ davon ab, wie der Behandler arbeitet. Generell kann man jedoch sagen, das mit X-Guide mindestens so präzise gearbeitet werden kann wie mit einer genauen Schablone. Knackpunkt ist natürlich die Umsetzung: Weicht man bewusst vom Plan ab, gibt das Gerät Rückmeldung, wie weit man vom Ziel entfernt ist, und man kann sofort korrigieren. Selbst wenn die Situation im Mund und nach der Aufklappung unübersichtlich wird, verliert das Gerät niemals die Referenz, denn diese befindet sich sicher in den entweder zahn- oder knochengetragenen Referenzpositionen des kalibrierten „Patient Tracker“ .
Für welche Indikationen empfehlen Sie den X-Guide-Workflow?
Gerade bei der Implantation im Frontzahnbereich teilbezahnter Patienten und im Unterkiefer nahe am Nerv zahlt sich der Einsatz von X-Guide aus auch weiter im posterioren Bereich, denn dort sind Schablonen infolge der benötigten längeren Instrumente oft mit der Mundöffnung des Patienten in Konflikt – und auch überall dort, wo das Inserieren von Implantaten heikel ist, aufgrund erhöhter Verletzungsgefahr durch anatomische Besonderheiten, zum Beispiel in der Nähe zu Nachbarwurzeln, um benachbarte Strukturen nicht zu verletzten Wir unterziehen die X-Guide-Anwender nach zehn teilbezahnten Fällen einem Review. Ist nachweisbar, dass der Chirurg das Verfahren beherrscht, wird die Option für zahnlose Protokolle freigeschaltet. Der Tracker wird dort direkt auf den Knochen verschraubt und die Kalibrierung mittels vordefinierter anatomischer Referenzpunkte nach dem Fixieren vorgenommen. Bei teilbezahnten Patienten lässt sich der Tracker mittels eines Einwegclips direkt an den Zähnen befestigen. Dieser Clip wird im DVT indentifiziert und die Kalibrierung des Scans erfolgt in einigen wenigen und durchdachten Schritten von dieser Position aus. Die Protokolle für zahnlose Indikationen sind insbesondere für die All-on-4- Behandlung mit angulierten Implantaten interessant, vor der übrigens auch erfahrene Implantologen oftmals Respekt haben. Beherrscht der Chirurg den X-GuideWorkflow, kann er sich ganz auf die klinischen Tätigkeiten konzentrieren, beispielsweise darauf achten, den Knochen nicht zu überhitzen und die verschiedenen Arbeitsschritte exakt einzuhalten. Gerade dabei hilft die Technologie enorm.
Auch bei Zahnunfällen sehen wir ein großes Potenzial der geführten Implantation. Muss beispielsweise nach einem Trauma ein Zahn extrahiert werden oder stößt der Behandler während einer endodontischen Behandlung auf eine Komplikation, bietet das Vorgehen mit X-Guide die Möglichkeit der computerassistierten Sofortimplantation, ohne auf das Herstellen einer Bohrschablone warten zu müssen.
Für wen ist das Gerät interessant?
Für jeden Implantologen, der seine Planung präzise umsetzen möchte. Navigierte Chirurgie eröffnet neue Horizonte, da das Operationsfeld selbst nicht verdeckt wird und der Behandlungsplan klinischen Veränderungen sofort angepasst werden kann. Zudem können zum Beispiel die gleichen Instrumente verwendet werden wie für die Freihand-Chirurgie. Man muss also nicht – wie bei schablonengeführter Implantation – mit längeren Instrumenten arbeiten. Es tritt auch keine Obstruktion des Operationsfeldes auf, somit sieht der Chirurg alles uneingeschränkt sofort. Und da sich die Referenz zwar im selben Kiefer, aber auf der anderen Seite befindet, hat der Chirurg „volle Freiheit“ im Operationsgebiet. So kann er beispielsweise unbehindert Augmentationen oder Knochenreduktionen durchführen, ohne die Stabilität einer Schablone zu gefährden, denn normalerweise benötigt man bei schablonengeführter Implantation immer eine distale Abstützung der Schablone. Das Gerät rechnet sich auch für den ambitionierten Kliniker, der „mehr“ will. Es sind in den USA vor allem die „großen Namen“, sehr erfahrene Implantologen, die sich für das Arbeiten mit X-Guide entscheiden. Mit dem Wissen, dass kein Patientenfall dem anderen gleicht, schätzen erfahrene Implantologen die Sicherheit, alles vorher am Bildschirm planen und ausführen zu können und im Anschluss ein Rezept für die Umsetzung zu haben.
Ist das Gerät auch für unerfahrene Implantologen zu empfehlen?
Wir raten allen Implantologie-Anfängern, zunächst praktische Erfahrung und implantologisches Know-how in einer Universität oder einer implantologisch ausgerichteten Praxis bei einem erfahrenen Mentor zu sammeln. Das ist die klassische Win-win-Situation: Der junge Behandler bingt neue Impulse, implementiert neue Technologien in der Praxis der Seniorität und profitiert im Gegenzug von der fachlichen Expertise des Mentors. In der Praxis kann das so aussehen: Junior- und Seniorimplantologe gehen gemeinsam die Planung durch. Ist der Junior in der Lage, die implantologischen Schritte korrekt durchzuführen, also zum Beispiel den Knochen nicht zu überhitzen, kann man davon ausgehen, dass er auch die Planung entsprechend sicher umsetzen kann. Daraus können sich neue Möglichkeiten ergeben, die Qualität in der implantologischen Praxis zu verbessern und die jungen Zahnmediziner schneller auf ein fachlich hohes Level zu bringen. Fazit: Wir sehen den Einsatz von X-Guide eher in erfahrenen Händen im Streben nach zusätzlicher Behandlungssicherheit und mit allen Vorteilen der Freihand-Chirurgie. Weniger erfahrene Chirurgen kommen schneller zu besseren Resultaten, wenn die Planungen mit einem routinierten Implantologen vorher abgesprochen werden können. Davon profitieren vor allem die Patienten.
Herr Dr. Kunz, vielen Dank für das interessante Gespräch.
Quelle: teamwork 06/2018, teamwork media GmbH