Expertenzirkel: Weiß und Verschraubt
29. Juni 2018
– Anne Barfuß / DENTAL MAGAZIN 5/2018, Seiten 7ff., Deutscher Ärzteverlag.
Materialbedingt wurden Keramikimplantate bislang vor allem einteilig angeboten. Doch immer mehr Anwender verlangen nach der gleichen prothetischen Flexibilität wie bei Titanimplantaten. Hersteller haben reagiert und bieten immer bessere zweiteilige Systeme an. Noch ist die Datenlage dünn, aber es geht voran.
PD DR. HABIL. DR. MICHAEL GAHLERT
selbstständig tätig seit 1990 in eigener Praxis in München, seit 2011 am Hightech-Forschungs Zentrum der Universität Basel, befasst sich seit Jahren wissenschaftlich mit Keramikimplantaten. – info@drgahlert.com
DR. SANDRO MATTER
ist Werkstoffwissenschaftler und war von 2015 bis Herbst 2016 CEO der Dentalpoint AG. Seit Herbst 2017 ist er Vice President Multi-Brand Strategy bei Nobel Biocare. – sandro.matter@nobelbiocare.com
UNIV.-PROF. DR. DR. WERNER ZECHNER
Stellvertretender Leiter des Fachbereichs Orale Chirurgie un Implantologie der Universitätszahnklinik Wien, private implantologische Überweiserpraxis in Wien. – werner.zechner@meduniwien.ac.at
Die Forschungen laufen auf Hochtouren: Zweiteilige Keramikimplantate sind spätestens seit der IDS gefragt wie nie. Nach welchen Kriterien
soll sich der Anwender entscheiden?
GAHLERT: Am wichtigsten ist die Prognose für den Patienten. Und da sollte man nur Implantatsysteme von Herstellern wählen, die Wert auf wissenschaftliche Dokumentation legen. Dazu gehört unter anderem eine nachgewiesene ausreichende Osseointegration. Denn wenn Implantate nicht „verknöchern“, ist das für den Patienten, aber auch für den Anwender ein Desaster.
ZECHNER: Unbestritten ist die Datenlage mit Blick auf die Osseointegration zweiteiliger Keramikimplantate geringer als bei zweiteiligen Titanimplantaten, die bis zu 20 Jahre evidenzdokumentierte Erfolgsergebnisse vorweisen können. Doch erste Vierjahresrücklaufdaten sind publiziert und die Datenbasis wird breiter. Wir in Wien halten es deshalb nun für an der Zeit, mit zweiteiligen Keramikimplantaten Erfahrungen zu sammeln und sie unter Berücksichtigung der Materialeigenschaften einzusetzen. Einteilige Keramikimplantate sind und waren für uns trotz publizierter Datenlage wegen des Zementierens und der prothetischen Limitierungen keine sinnvolle Option. Neue Implantatmaterialien müssen meiner Meinung nach die gleiche prothetische Flexibilität aufweisen, wie bewährte Materialien. Ein „Zurück“ zur Einteiligkeit soll es ob der Nachteile für Patient und Behandler nicht geben.
Sie sprachen Vierjahresdaten an: Welche Untersuchung meinen Sie?
ZECHNER: Ich meine die ersten Daten einer österreichischen Gruppe aus Innsbruck zum zweiteiligen Keramikimplantat ZERAMEX von Dentalpoint. Es handelt sich um eine deskriptive Statistik und Aufarbeitung von zweiteiligen Keramikimplantaten …
… um eine Materialstatistik?
ZECHNER: Um eine retrospektive statistische Analyse von zweiteiligen Zirkondioxidimplantaten. Statistisch ausgewertet wurde dabei die Rate der an den Hersteller zurückgesendeten Implantate in Relation zu den ausgelieferten Implantaten innerhalb desselben Zeitraums, insgesamt vier Jahre. Die von Jank und Hochgatterer 2016 (siehe auch Kasten Seite 14) als „Success Rate“ beschriebenen Werte lagen bei 96,7, 98,5 und 99,4 % je nach Implantattyp unter Annahme einer 2%igen Quote von nicht eingeschickten, verloren gegangenen Implantaten. Eine weitere lesenswerte Publikation ist der systematische Review (2017) von Pieralli et al. [2], die erfolgversprechende kumulative Überlebensraten von 93,3%–97,9% von Zirkonimplantaten in einem Beobachtungszeitraum von 12–60 Monaten beschreiben. Neben diesen Studien gibt es auch einige interessante Studienergebnisse zur Hart-, Weichgewebs- und ästhetischen Einheilungsverhalten von Keramik implantatoberflächen und -abutments von Sailer I. et al. 2018 [3], Chappuis V. et al. [4], Cosgarea R. et al. [5] und Kajiwara N et al. [6].
Demnach hat sich der Werkstoff Zirkoniumdioxid auch zur Herstellung von zweiteiligen Implantaten bewährt?
GAHLERT: Im Bereich der einteiligen Implantate definitiv. Da gibt es inzwischen prospektive Daten [7, 8, 9]. Bei den zweiteiligen Systemen fehlt es noch an Langzeitdaten, die Systeme sind ja erst maximal fünf Jahre auf dem Markt. Die Verlaufskontrolle von Jank und Hochgatterer hat aus meiner Sicht wenig Evidenz.
Die reduzierte Oberflächenrauigkeit in der Einheilphase hat bei den einteiligen Keramikimplantaten anfangs viele Probleme bereitet. Ist das gelöst?
ZECHNER: Aus meiner Sicht ja. Die neuen mikrorauen Keramikoberflächen sind ein wesentlicher Meilenstein in der Entwicklung der Keramikimplantate.
Nobel Biocare setzt seit dem Jahr 2000 bei Titanimplantaten auf die TUniteOberfläche. TiUnite ist eine verdickte, mäßig raue Titanoxidschicht mit hoher Kristallinität und einem hohen Phosphorgehalt. Ist die NobelPearl-Oberfläche damit vergleichbar?
MATTER: Durchaus, es handelt sich bei beiden um mäßig raue Oberflächen. Das ist ja das Spannende: Wir haben es seit eh und je mit keramischen Oberflächen zu tun, auch auf Titanimplantaten, die sandgestrahlt und säuregeätzt werden. Denn Titan ist chemisch gesehen ein hochreaktives Metall, das sich an der Luft mit einer Schutzschicht aus Titandioxid umgibt. Titandioxid ist eigentlich eine Keramik, allerdings ist diese Schutzschicht dünn, sodass das Licht nicht weiß reflektiert wird, sondern „durch“geht und damit immer noch als metallgrau wahrgenommen wird. Wäre diese Schutzschicht dicker, wären die heutigen Titanimplantate weiß.
Casus knacksus der Zweiteiligen war stets die adäquate Innenverbindung. Die erste Generation der zweiteiligen Zirkonoxidimplantate besaß bekanntlich eine Innenverbindung, die je nach Typ rein verklebt oder rotationsgesichert verklebt wurde …
GAHLERT: … was sich aus meiner Sicht nicht bewährt hat. Die Abutments haben sich zum Teil wieder gelöst.
Aber man verklebt immer noch, was soll man dem Anwender also empfehlen?
GAHLERT: Um ein Implantatsystem tatsächlich empfehlen zu können, braucht es, wie gesagt, Langzeitdaten. Das gilt sowohl für die verklebten als auch für die verschraubten Innenverbindungen. An – wen der sollten auf mögliche Komplikationen gefasst sein und darüber auch Patienten aufklären.
MATTER: Aus unserer Sicht ist eine verschraubbare Lösung ein Muss. Die passgenaue Innenverbindung in Kombination mit der karbonfaserverstärkten Schraube ist das Herzstück von NobelPearl. Die damit verschraubte Keramik-KeramikVerbindung erreicht hohe Ermüdungsfestigkeit, ist rotationsgesichert und quasi spannungsfrei. Ein korrekter, dauerhafter Sitz des verschraubten Abutments sollte den Behandlungserfolg langfristig positiv beeinflussen. Unser zweiteiliges Keramik implantat gibt den Behandlern die Möglichkeit, ihre Patienten komplett metallfrei zu versorgen und dabei prothetisch vorzugehen, wie sie es von zweiteiligen Titanimplantaten gewöhnt sind.
GAHLERT: Unbestritten haben wir mit den neuen Generationen der Zweiteiligen auch sehr gute Einheilerfolge, weit über 95 %.
Welche Systeme nutzen Sie?
GAHLERT: Ich habe bislang mehr als 150 zweiteilige Keramikimplantate von Straumann gesetzt und zirka 50 ZERAMEX.
Wie sieht es mit der prothetischen Flexibilität aus?
GAHLERT: Wenn der Hersteller abgewinkelte Abutments bietet, ist sie gegeben. Ist das nicht der Fall, fehlen die Ausgleichsmöglichkeiten, wenn man das Implantat nicht ganz korrekt setzt. Nur mit abgewinkelten Abutments spielt die Zweiteiligkeit ihre Stärken aus. Werden sie nicht angeboten, kann man auch gleich ein einteiliges Keramikimplantat setzen.
ZECHNER: Bei NobelPearl sind abgewinkelte Abutments (15 Grad) im Sortiment und die prothetische Flexibilität ist gegeben.

der 3D-Implantatposition mit einem Richtungsweiser (Abb. 2) und der (obligatorische) Einsatz eines Gewindeschneiders (Abb. 3)
Kommen wir zum Herstellungsprozess: En vogue ist derzeit die Spritzgusstechnik. Sie sei kostengünstiger, heißt es. Herr Dr. Matter, Sie bevorzugen dennoch die Frästechnik, warum?
MATTER: Für uns ist eine hohe Präzision mit engen Toleranzen wichtig. Das zweiteilige Keramikimplantat NobelPearl wird aus harten und gehippten ZirkonoxidATZ-Rohlingen mit einer neuartigen Bearbeitungstechnik hergestellt. Nach der finalen Formgebung des Implantats findet keine Nachbearbeitung durch thermische Prozesse (Sintern) oder Ähnliches statt. So wird sichergestellt, dass es zu keiner weiteren Veränderung im Materialgefüge kommen kann, weil direkt aus dem harten, finalen Material gefräst wird. Die Spritzgusstechnik ist dagegen ein indirekter Prozess. In der Regel muss noch nachgesintert werden.
ANWENDUNGSEMPFEHLUNG
- Wir haben in unserem Team in Basel das Thema Keramikimplantate in den letzten Jahren von verschiedensten Seiten wissenschaftlich untersucht. Diese Daten wurden selbstverständlich auch mit reichhaltigen klinischen Erfahrungen korreliert. Eine Anwendungsempfehlung abzugeben ist derzeit nicht unproblematisch, denn man sollte alle bisherigen Publikationen kritisch und nach Evidenzgrad differenziert sehen.
- Dr. Stefan Röhling, Lörrach, Prof. Dr. Dr. Karl Andreas Schlegel, München, und ich konnten gerade im Rahmen der ITI Konsensuskonferenz in Amsterdam Konsensusstatements bezüglich der Anwendung von Keramikimplantaten erarbeiten. Diese werden demnächst im Journal „Clinical Oral Implants Research“ publiziert.
- Die intensive Auswertung der Weltliteratur und deren Überprüfung nach Evidenzgehalt zeigte uns, dass zweiteilige Keramikimplantate aufgrund fehlender Langzeitdaten mit der gebührenden Vorsicht als Medizinprodukt anzuwenden sind. Hingegen ist die Datenlage bei einteiligen Systemen besser und zeigt, dass vergleichbar gute Ergebnisse wie bei Titanimplantaten zu erzielen sind.
- Die sehr guten klinischen Erfahrungen mit einteiligen Keramikimplantaten, die auch evidenzgesichert sind, können als Anwendungsempfehlung für diese Medizinprodukte gelten, sofern eine klinische Alternative zu Titanimplantaten verwendet werden soll.
Quelle: Gahlert
Ist das ein Problem?
MATTER: Es ist höchst anspruchsvoll, Spritzguss so zu betreiben, dass es keine Fehlstellen oder Einschlüsse im finalen Produkt gibt und sich zudem die Toleranzen gut kontrollieren lassen. Meist ist dafür ein weiterer Arbeitsschritt – nachträgliches Beschleifen – nötig. Viel entscheidender ist aber: Bis vor Kurzem konnte man Keramik gar nicht fräsen, sondern nur schleifen. Das Material war viel zu hart. Erst mit der Technik unseres Partners Dentalpoint ist das Endmate – rial nun bearbeitbar. Zudem ist die Spritzgusstechnik nicht so kostengünstig, wie wir meinen. In der Vergangenheit wurde versucht, Titanimplantate in Spritzgusstechnik herzustellen; man wendet bis heute aber aus Kostengründen die Frästechnik an.
Kronen und andere Keramikrestaurationen werden doch schon seit Jahren problemlos aus Keramikblöcken gefräst? Was ist der Unterschied.
MATTER: Kronen etc. werden aus einem „Grünling“ gefräst und anschließend gesintert. Das ist natürlich unproblematisch, weil die Toleranzen bei Keramikrestaurationen eine viel geringere Rolle spielen: Die Kronen werden auf den Abutmentstumpf zementiert und der Zement gleicht Toleranzen aus.
Funktioniert das bei Keramikimplantaten nicht?
MATTER: Ich kann nur über unsere Produkte sprechen. Der Schrumpfungsprozess ist nicht einfach zu kontrollieren, und man muss die Implantate nachträglich beschleifen, um derart präzise Passungen zu erreichen, wie wir sie für erforderlich halten. Bei NobelPearl dagegen wird direkt aus dem finalen harten Material gefräst, aus dem das Implantat letztlich besteht. Damith wissen wir ganz genau, was wir verarbeiten, und haben unsere Produktionstechnik entsprechend angepasst. Die Herstellung ist kostengünstig, allerdings deutlich teurer als die Fertigung von Titanimplantaten.
Die einteiligen Keramikimplantate, die sich ja bewährt haben, wurden auch subtraktiv erzeugt …
MATTER: … aber nicht gefräst, sondern beschliffen. Fräsen ist präziser und vor allem deutlich schneller und damit auch hinsichtlich der Kosten interessanter.
GAHLERT: Ich halte das Spritzgussverfahren dennoch für hochinteressant und sehe schon Chancen, Keramikimplantate auf diese Weise kostengünstiger zu produzieren. Vielleicht laufen sie dann sogar den Titanimplantaten als biologisches, preisgünstiges Medizinprodukt den Rang ab. Spannend bei der Spritzgusstechnik ist, dass sich die Oberflächentopografie vorkonditionieren lässt. Damit entsteht ein Teil der Mikrorauigkeit allein durch das Spritzgussverfahren. Der Nachteil: Rückstände der Spritzgussformen verbleiben in der Oberfläche. Und diese Rückstände osseointegrieren nicht.
Wann wird es mehr wissenschaftliche Daten zu zweiteiligen Keramikimplantaten geben?
MATTER: Publizierte Daten zu NobelPearl gibt es noch nicht, sie werden jetzt aber „aufgegleist“. Es gibt aber bereits mechanische Untersuchungen, die Studien von Prof. Dr. Andrea Mombelli in Genf [10] sowie die bereits erwähnte Verlaufsstatistik über 15.000 Implantate (siehe Kasten). Zudem wurde das Konzept mit der karbonfaserferstärkten Schraube schon von der FDA zugelassen. Deren Kriterien sind ja sehr streng für neue Anwendungsbereiche, sodass für den Anwender schon eine gewisse Sicherheit besteht. Dazu kommt: Die Materialien haben sich generell enorm weiterentwickelt. In den 70er-Jahren gab es sowohl Titanimplantate als auch Aluminiumoxidimplantate, das Tübinger Sofort – implantat ist jedem in Erinnerung …
… sicherlich nicht in positiver …
MATTER: … richtig, damals hat man auch Aluminiumoxid als Keramikmaterial verwendet, das aufgrund zu geringer Biegefestigkeit unter Belastung gebrochen ist. Die Implantate mussten zum Teil aufwendig und für den Patienten extrem belastend herausgefräst werden. Angesichts der Probleme damals ist man auf Titan umgeschwenkt. Keramik kam erst mit der Weiterentwicklung der Materialien, also mit Zirkondioxid, und neuen Frästechniken wieder ins Spiel. Gerade beim Zahnersatz haben die vollanatomischen Kronen aus Zirkondioxid inzwischen Furore gemacht.

supragingival positionierten Keramikimplantats sowie
des maximal 0,75 mm supragingival positionierten Titanimplantats
Wie lange ist das verschraubte Keramikimplantat auf dem Markt?
MATTER: Das verschraubte Keramikimplantat von unserem Partner Dentalpoint ist seit 2014 auf dem Markt. Und mit NobelPearl, das ab Juli im Handel ist, bringen wir nun Studien auf den Weg. Zudem laufen nach wie vor die ZERAMEX-Studien in Bern von Prof. Dr. Daniel Buser. Mombelli hat Fünfjahresdaten, die verfügbar sind und bald publiziert werden sollten – allerdings wurde noch mit den geklebten Abutments gearbeitet [11].
Kommen wir zum Periimplantitisrisiko. Es soll bei Keramikimplantaten geringer sein. Gilt das für ein- und zweiteilige Varianten?
GAHLERT: Für beide Varianten. Zusammen mit meinem Kollegen Dr. Stefan Röhling haben wir entsprechende experimentelle Studien in Basel und in den USA durchgeführt. Ergebnis: Keramikimplantate weisen signifikant geringere Plaque – anlagerungen und ein geringeres Periimplantitisrisiko auf als Titanimplantate. Aber auch das Implantatdesign spielt mit Blick auf das Periimplantitisrisiko eine große Rolle: Tissue-Level-Implantate schneiden besser ab als Bone-LevelImplantate. Denn eine Spaltbildung unter dem Zahnfleisch kann dazu beitragen, dass sich Plaque in Mikrospalten ansiedelt. Tissue-Level-Keramikimplantate haben also das günstigere Design, die Spalten liegen auf Gingivaniveau oder supragingival. Und sollte die Plaque die sehr dünne Titandioxidschicht korrodieren, sind die Vorteile der Keramikimplantate ganz enorm. Bei ihnen ist der gesamte Festkörper aus Dioxid, das sich aufgrund seines inerten Charakters komplett neutral verhält. Die Plaque könnte, selbst wenn sie da ihre sauren Stoffwechselprodukte absondert, dem Implantatmaterial absolut nichts anhaben. Doch noch wissen wir nicht genau, was mit der hauchdünnen Titandioxidfläche passiert, wenn diese angegriffen wird, und wie sich das dann immunologisch bei dem einen oder anderen Patienten auf das umliegende Gewebe auswirkt. Die immunologischen Gewebeveränderungen bei Titanionisierung gilt es noch zu untersuchen.
MATTER: Bereits nachgewiesen ist die bakterienindzuierte sog. Crevice Corro – sion. Die entsprechenden „Paper“ liegen vor [12].
Was aber bei zweiteiligen Keramikimplantaten ohnehin keine Rolle spielt …
GAHLERT: … vorausgesetzt, alle Implantatkomponenten inklusive der Schraube der Innenverbindung sind nicht aus Metall. Da schafft die Karbonschraube des NobelPearl sehr gute Voraussetzungen.
Herr Professor Zechner, Sie haben in einer ebenfalls experimentellen Studie das Periimplantitisrisiko von ein- und zweiteiligen Titanimplantatsystemen verglichen (Zechner et al. 2004). Was haben Sie herausgefunden?
ZECHNER: Passgenaue zweiteilige Systeme haben bei suffizienter Mundhygiene ein geringes Periimplantitisrisiko. Kommt es jedoch zu einer Periimplantitis, hat sich histologisch gezeigt, dass nicht nur eine intensive Mundhygiene, sondern auch die Ausbildung einer biologischen Breite – ein Abstand der Knochenoberfläche zum Implantatabutment – erforderlich ist, um eine Periimplantitis stabilisieren zu können. Dass Keramikimplantate aufgrund der etwas weniger rauen Oberfläche ein ähnliches oder geringeres Risiko haben, wird derzeit vermutet, unter anderem von Canullo L. et al. und Sridhar S. et al. [13, 14].
GEHIPPTE ROHLINGE
Das NobelPearl-Implantat wird aus harten und gehippten Zirkondioxid-ATZ-Rohlingen mit einer neuen Bearbeitungstechnik hergestellt. Nach der finalen Formgebung der Implantat außen- und -innengeometrie findet kein thermischer Prozess (Sintern) und keine Nachbearbeitung statt. So wird sichergestellt, dass eine hohe Präzision mit engen Toleranzen erreicht wird und es zu keiner weiteren Veränderung im Materialgefüge kommen kann. Dieses Fertigungsverfahren wurde von dem Nobel BiocarePartner Dentalpoint neu entwickelt und setzt viel Erfahrung und Know-how voraus. Das von dem Partner Dentalpoint entwickelte Implantat ist als ZERAMEX T seit sieben Jahren (2010) im Markt und verfügt seit fünf Jahren (2012) über die optimierte gestrahlte und geätzte Zerafil-Oberfläche; sie zeigt sehr gute klinische Daten. Die Verbindung mit der innovativen Karbonschraube im ZERAMEX P/P6 gibt es nun bereits drei Jahre klinische Erfahrung, und das ZERAMEX P6 wurde 2016 durch die amerikanische FDA zugelassen. Das NobelPearl kombiniert nun diese bereits jahrelange Erfahrung mit den Technologien. Klinische Studien sind in Planung.
Gibt es spezielle Kontraindikationen für Keramikimplantate?
GAHLERT: Nein, es gelten die gleichen Grundsätze wie bei Titanimplantaten auch beispielsweise für Bisphosphonatpatienten, siehe S3-Leitlinie der DGI.
ZECHNER: Ich rate allerdings darüber hinaus von einer Sofortimplantation mit Sofortversorgung ab. Eine Sofortimplantation mit gedeckter Einheilung ist nach meinen Erfahrungen unproblematisch. Implantate, die mit 10 bis 15 Ncm eingedreht werden, osseointegrieren bei gedeckter Einheilung im Regelfall verlässlich..
GAHLERT: Ich schließe mich an. Sofortbelastungen stehe ich per se kritisch gegenüber, egal ob auf Titan- oder Keramikimplantaten. Ich habe zu großen Respekt vor den Transformationsprozessen. Außerdem fehlt es an speziellen Implantatformen aus Zirkondioxid, die für diese speziellen Indikationen Verwendung finden können.
VERLAUFSKONTROLLE
- Mehr als 15.000 in Patienten eingesetzte zweiteilige ZERAMEX Keramikimplantate weisen hinsichtlich der Osseointegration eine Erfolgsrate vor, die sich über drei Produktgenerationen hinweg von 96,7% auf 98,5% verbessert hat. Das ist das Ergebnis einer veröffentlichten Verlaufskontrolle, die unter der Leitung von Universitätsprofessor Dr. Dr. Siegfried Jank aus Hall (Österreich) durchgeführt wurde.
- Ziel war es, retrospektiv den klinischen Erfolg der zweiteiligen ZERAMEX Keramik implantate bezüglich der Osseointegration zu ermitteln. Als Grundlage dienten die Garantiedaten des Herstellers. Die Daten wurden über eine Zeitspanne von vier Jahren von 2010 bis 2014 retrospektiv und geblindet ausgewertet, wobei die 15.255 verkauften ZERAMEX Implantate mit der Zahl der Implantate, die für Garantiefälle zu ersetzen waren, ins Verhältnis gesetzt wurden.
- 347 Implantate (2,2%) waren nicht osseointegriert und wurden an den Hersteller zurückgesandt. Die ZERAMEX T Implantate (Tapered Design) erreichten eine durchschnittliche Erfolgsrate von 96,7% und die ZERAMEXT Implantate mit einer ZERALOCK-Verbindung kamen auf eine durchschnittliche Erfolgsrate von 98,5%. Des Weiteren erzielten ZERAMEX Plus Implantate eine durchschnittliche Erfolgsrate von 99,4% innerhalb der untersuchten Periode. Unter der Annahme, dass 2% der nicht eingewachsenen Implantate nicht zurückgesandt wurden, bleiben die vorher genannten Werte gleich. Bei einer Annahme von 5% (10%) nicht retournierter Implantate ergeben sich die folgenden Erfolgsraten: ZERAMEX T sinkt von 96,7% auf 96,6% (96,4%); ZERAMEX T mit ZERALOCK-Verbindung sinkt von 98,5% auf 98,4% (98,4%) und ZERAMEX P bleibt unverändert auf 99,4%.
- Wichtig: Es handelt sich um eine statistische Analyse, nicht um eine wissenschaftliche Studie.
Quelle: Jank S et al., Success Rate of Two-Piece Zirconia Implants: A Retrospective Statistical Analysis. Implant Dent. 2016 Apr; 25 (2)
Keramik leitet keine Wärme, was bedeutet das für das Behandlungsprotokoll?
MATTER: Keramikimplantate sollten sicherlich langsamer inseriert werden. Die Umdrehungszahl beim Eindrehen ist geringer. Die Eindrehgeschwindigkeit sollte bei zirka 15 Umdrehungen/Minute liegen. Ansonsten ist das Protokoll das gleiche wie bei Titanimplantaten.
ZECHNER: Wenn das Implantat gemäß dem vorgegebenen Behandlungsprotokoll – mit Gewindepräparation und Eindrehvorgaben – inseriert wird, ist ein thermisches Problem nicht zu erwarten. Gahlert: Die fehlende Wärmeleitfähigkeit hat einen riesengroßen Vorteil für mich: Am Keramikimplantat kann ich mit dem Elektrotom arbeiten und überschießende Schleimhaut wunderbar wegtrimmen. Das ist bei Titanimplantaten natürlich ein absolutes No-Go.
Stichwort Verschrauben versus Zementieren – empfehlen Sie verschraubte prothetische Lösungen auf NobelPearl?
MATTER: Gerade im Frontzahnbereich ist das nicht ganz einfach. Der größte Nachteil der verschraubten Restaurationen besteht in der Bedingung einer achsengerechten Implantatposition.
GAHLERT: Das sehe ich ebenso. Hat man das Implantat nicht achsengerecht gesetzt, lässt sich die Fehlpositionierung nur über das Abutment ausgleichen und die Krone wird doch wieder zementiert. Ein vestibulär gelegener Schraubenschacht ist im ästhetischen Bereich nicht akzeptabel. Doch auch im Seitenzahnbereich muss der Schraubenschacht mit seinen umliegenden Materialstärken beachtet werden. Nebenbei: Ich wehre mich gegen den aktuellen Anti-Zementierungs-Hype. Bei Tissue-Level-Implantaten ist die Gefahr einer Zementitis aufgrund von Zementüberschüssen um ein Vielfaches geringer als bei Bone-Level-Implantaten. Ich habe in meiner ganzen klinischen Erfahrung nur einen Periimplantitisfall gesehen, der durch Zementreste entstanden ist.
MATTER: Zudem hat man über die heutige CAD/CAM-Technologie die Möglichkeit, die monolithische Keramikkrone direkt auf dem Abutment zu platzieren.
Aber man kann dann die Krone nicht abnehmen …
ZECHNER: Richtig, und das sollte man können. Es würde auch niemand ein Auto mit verschweißter Motorhaube kaufen. So erkläre ich die Vorteile der verschraubten Suprakonstruktionen meinen Patienten im Beratungsgespräch. Sicher, es erfordert Erfahrung, aber ob ich nun auf zweiteiligen Keramik- oder Titanimplantaten verschraube – das macht aus meiner Sicht keinen Unterschied.

einem Titanabutment
Wird es zusätzliche Tools für verschraubbare Suprakonstruktionen von Nobel Biocare geben?
MATTER: Die Entwicklungen werden weitergehen. Wir erleben nun erst einmal die Vorteile von Keramikimplantaten mit verschraubbaren metallfreien Innenverbindungen. Wir haben NobelPearl als einfaches und sehr überschaubares System konzipiert, mit maximal 60 Teilen. Denn es ist ja ein zusätzliches System für die Praxis. Je komplizierter es wird, desto weniger akzeptieren es die Behandler.
Haben einteilige Keramikimplantate überhaupt noch eine Zukunft?
MATTER: Gegenfrage: Haben die einteiligen Titanimplantate überlebt?
Einige schon, und es gibt auch echte Fans …
MATTER: … wenn jemand mit einteiligen Implantaten klarkommt, ist das ja in Ordnung; die große Mehrheit wünscht sich jedoch die Zweiteiligkeit weil sie flexibler ist. Für uns ist die Einteiligkeit überholt.
ZECHNER: Ich bin ein Befürworter der zweiteiligen Systeme. Die Vorteile der zweiteiligen Titanimplantate sollten auch auf neue Materialien übertragen werden können. Ich sehe weder für einteilige Keramik- noch für einteilige Titanimplantate einen sinnvollen Markt. Aus meiner Sicht gibt es keine nachvollziehbare Indikationsstellung für ein einteiliges Implantat.
GAHLERT: Aus meiner Sicht dürfen einteilige Keramikimplantate auf keinen Fall in der Versenkung verschwinden; die Ergebnisse sind unvergleichlich gut. Wer in der Lage ist, einteilige Keramikimplantate richtig zu positionieren, ahmt am natürlichsten den auch einteiligen Zahn nach. Das Problem von Schraubenlockerungen und Mikrospalten unter dem Zahnfleisch fällt auch weg. Das einteilige Prinzip ergänzt sich so biologisch mit dem völlig inerten Werkstoff Zirkoniumdioxid.

auf den Keramikimplantaten im Gegensatz zu dem bildgebenden Titanabutment auf dem posterioren Titanimplantat
Die meisten Anwender scheinen das anders zu sehen …
GAHLERT: … weil sich viele Kollegen nicht zutrauen, einteilige Keramikimplantate richtig zu positionieren. Aus meiner Sicht ist es das größte Dogma in der Implantologie, dass ein Implantat zweiteilig sein muss. Und: Es kann durchaus sein, dass ein Umdenken ansteht und die Einteiligkeit doch nicht überholt ist. Denn mit den neuen Druckergenerationen lässt sich der extrahierte Zahn scannen und bald aus Zirkondioxid drucken, auch das wäre ein einteiliges Implantat. Erste vielversprechende Ansätze gibt es bereits.
Herr Professor Zechner, sind gedruckte Zähne eine Option für Sie?
ZECHNER: Alle die Vorteile, die wir in den letzten Jahren für industriell präzise gefertigte und bezüglich Instrumenta rium und Komponenten aufeinander abgestimmte und hergestellte Implantate dokumentiert und gefunden haben, sollten auch für neue Implantatmaterialien und -techniken gelten. Als Leiter der ARGE Digitale Zahnheilkunde an der Universitätszahnklinik Wien beschäftige ich mich im Team fachabteilungsübergreifend seit Längerem mit digitalen Techniken, wobei wir auch mit „geprinteten“ Schablonen und Provisorien arbeiten. Die Genauigkeit für „gedruckte“ definitive Zahnrestaurationen halten wir derzeit noch nicht für ausreichend für eine verlässliche klinische Anwendung. Daher bevorzugen wir – derzeit noch – gefräste CAD/CAM-Lösungen. Als Universitätsklinik arbeiten wir sowohl in der ARGE als auch in den jeweiligen Fachabteilungen klinisch und wissenschaftlich daran, unseren Beitrag dazu zu leisten, evidenzbasierte Daten bei diesen neuen Techniken wie auch bei (zweiteiligen) Keramikimplantaten zu sammeln.
– Literaturliste auf dentalmagazin.de
ZUSAMMENFASSUNG
- Der Werkstoff Zirkondioxid hat sich für die Herstellung von Keramikimplantaten bewährt. Mikroraue Keramikoberflächen sind ein wesentlicher Meilenstein in der Entwicklung von Keramikimplantaten.
- Zu Keramikimplantaten fehlt es noch an evidenzbasierten Langzeitdaten; zahlreiche Systeme sind in der letzten Zeit auf den Markt gekommen; ältere Systeme wurden inzwischen zum Teil erheblich modifiziert.
- Derzeit werden mehrere Studien zur neuesten Generation zweiteiliger Keramikimplantate durchgeführt.
- Problematisch war stets die Abutment-Implantat-Verbindung bei einer adäquaten Innenverbindung. Verklebte Abutments scheinen sich nicht bewährt zu haben.
- Verschraubte Lösungen haben klinische und prothetische Vorteile und erlauben eine komplett metallfreie Behandlung, vorausgesetzt, die Verschraubung und deren Komponenten sind auch aus metallfreiem Material, wie beispielsweise faserverstärkte PEEK-Schrauben.
- Beim Herstellungsprozess unterscheidet man zwischen Spritzgusstechnik, Schleif- und Fräsbearbeitung. Fräsen ist präziser als Schleifen und vor allem deutlich schneller und damit auch hinsichtlich der Herstellungskosten interessanter.
- Die Weiterentwicklung von Spritzgusstechnik ist im Gange, da ein Teil der mikrorauen Oberfläche durch das Spritzgussverfahren entstehen kann. Der Nachteil: Rückstände der Spritzgussformen können in der Oberfläche verbleiben und die Osseointegration des Implantats negativ beeinflussen.
- Das Periimplantitisrisiko von Keramikimplantaten scheint aufgrund des Werkstoffs geringer zu sein. Das zeigen experimentelle Studien.
- Für Keramikimplantate gibt es keine speziellen Kontraindikationen, es gelten die gleichen Kontraindikationen wie für Titanimplantate, auch bei Risikopatienten, wie etwa Bisphosphonatpatienten; siehe S3-Leitlinie der DGI.
- Wenig klinische Erfahrung gibt es bei Sofortimplantationen und Sofortversorgungen. Die meisten angebotenen Systeme verfügen auch nicht über spezielle Implantatdesigns, die bei derartigen klinischen Einsatzbereichen empfohlen werden.
- Keramikimplantate leiten keine Wärme (Hitze) und sollten deshalb grundsätzlich langsamer inseriert werden. Eindrehgeschwindigkeit: ca. 15 U/min. n Wenn das Implantat gemäß dem vorgegebenen Behandlungsprotokoll – mit Gewindepräparation und Eindrehvorgaben – gesetzt wird, sind thermische Probleme nicht zu erwarten.
- Einteilige Systeme werden nach wie vor kontrovers diskutiert. Klinische Herausforderungen liegen vor allem in der eingeschränkten prothetischen Versorgungsmöglichkeit, die bei zweiteiligen Systemen dank des Einsatzes und der Tauschmöglichkeit der Aufbauteile größer ist.
Quelle: DENTAL MAGAZIN 5/2018, Seiten 7ff., Deutscher Ärzteverlag.