Die Übertragung des individuell konditionierten periimplantären Weichgewebes
17. August 2018
– Dr. Roberto Sleiter, Egerkingen/Schweiz
Quelle: DZW Orale Implantologie 2-2018
Rot-Weiß-Ästhetik: von der Sofortimplantation bis zur funktionell-ästhetischen Implantatkrone
Die Sofortimplantation mit sofortiger Versorgung des Implantats ist eine etablierte Therapievariante, die bei entsprechenden Voraussetzungen zu guten Ergebnissen führt. Zusätzlich zur Osseointegration des Implantats hat – insbesondere im Frontzahnbereich – das periimplantäre Weichgewebe respektive das Implantataustrittsprofil hohen Einfluss auf den Behandlungserfolg. Der Autor zeigt sein Vorgehen bei der Ausformung des Weichgewebes und der Übertragung auf die definitive Restauration.
Dr. med. dent. Roberto Sleiter,
Fachzahnarzt für Oralchirurgie
Privatpraxis: Einschlagstraße 2 CH4622 Egerkingen
www.dentalspecialist.ch
Vittorio Procopio
Zahntechniker
Montana Dental AG CH4622 Egerkingen
Die zeitnahe Versorgung einer Extraktionsalveole im Sinne der Sofortimplantation gilt in vielen Fällen als vorhersagbare Alternative zur konventionellen Einheilung beziehungsweise der zweizeitigen Implantattherapie und hat bei entsprechender Voraussetzung erfahrungsgemäß vergleichbare Erfolgsquoten. Insbesondere im Frontzahngebiet akzeptieren viele Patienten nur ungern eine lange Behandlungsdauer mit mehreren chirurgischen Eingriffen. Sie wünschen eine schnelle Rehabilitation mit einer kaufunktionellen und ästhetisch-akzeptablen Restauration. Mit der Sofortimplantation kann diese Option angeboten werden, insofern die Voraussetzungen gegeben sind.
Kursempfehlung – Sofortimplantation und Sofortbelastung
Wann? 14. September 2018 09:00-16:00
Wo? H4 Hotel, Schänzlistrasse 5, 4500 Solothurn
Vortragende? Prim. Dr. Rudolf Fürhauser, Akademie für orale Implantologie Wien, und Zahntechniker Klaus Prandtner“
Mehr Informationen und wie Sie sich anmelden können finden Sie im vorherigen NewsBlog-Beitrag!
Voraussetzungen
Ist eine Extraktion im Frontzahngebiet erforderlich, kann der maximale Patientenkomfort mit einer zeitnahen funktionell-ästhetischen Restauration und einer geringen Anzahl chirurgischer Eingrffe erzielt werden. Hierbei gilt: Die exakte Diagnostik der Patientensituation mit ihren anatomischen Vorgaben sowie das selbstkritische Beurteilen der eigenen implantologischen Fähigkeiten sind seitens des Zahnarztes die grundlegende Prämisse für eine Sofortimplantation sowie gegebenenfalls Sofortversorgung. Es gilt, spezifisch zu diagnostizieren und die Situation realistisch einzuschätzen.
Die Entscheidung für eine Sofortimplantation hängt unter anderem vom Stadium einer etwaigen periapikalen Entzündung des Zahns ab. Akute eitrige Prozesse sind eine Kontraindikation, wo- gegen ein schmerzfreies chronisches Wurzelgranulom nicht zwingend zum Ausschlusskriterium wird. Zudem ist bei einem knöchernen Defekt der bukkalen Lamelle von der Sofortimplantation abzuraten. Kleinere Defekte können von einem erfahrenen Implantologen gegebenenfalls simultan aufgebaut werden.
Auch hinsichtlich einer Sofortversorgung sind Vorgaben zu beachten. Durch die Fortschritte auf dem Gebiet der Implantologie wurden verbesserte Grundlagen für die Sofortbelastung geschaffen. Hierzu gehören optimierte Implantatoberfläche (beispielsweise TiUnite, Nobel Biocare), adäquates Implantatdesign (beispielsweise Nobel Active, Nobel Biocare) und die Möglichkeit, die Primärstabilität eines Implantats unmittelbar nach der chirurgischen Intervention objektiv messen zu können. Die Primärstabilität sollte für eine Sofortversorgung mindestens 35 Ncm betragen. Einfluss auf die Primärstabilität haben Implantat-design, Implantatoberfläche und Aufbereitungstechnik des Implantatbetts (ausreichende Kühlung). Das Implantatdesign sollte eine auf den spongiösen und kortikalen Knochen abgestimmte Geometrie des Gewindes aufweisen. Für eine Sofortversorgung sollte außerdem ein ausreichender Knochenkontakt gegeben sein. Bei entsprechender Kraftübertragung zwischen Implantat und umliegenden Geweben kann die mechanische Belastung zur Stimulation der periimplantären Knochenneubildung führen [4].
Implantatprothetisches Gesamtkonzept
Doch selbst wenn seitens der „Hardware“ (Implantatsystem) und der Software (Patientensituation) alles für die Sofortimplantation mit Sofortversorgung spricht, ist es letztlich das implantatprothetische Gesamtkonzept, das zum erfolgreichen Ergebnis führt. Insbesondere im ästhetisch sensiblen Bereich und der hier erforderlichen hohen Ansprüche an die Rot-Weiß-Ästhe- tik ist das enge Miteinander zwischen Zahnarzt und Zahntechniker entscheidend. Es geht nicht „nur“ um die Zahnfarbe und Zahnform, die der Zahntechniker mit Geschick und Gespür für Ästhetik der Situation anpasst. Auch die Weichgewebesituation, die während einer therapeutischen Phase erarbeitet worden ist, muss in die definitive Restauration einfließen. Anhand eines Patientenfalls wird nachfolgend ein praxistauglicher Prozessablauf dargestellt und der Fokus auf das Übertragen des konditionierten periimplantären Weichgewebes gelegt.
Patientenfall
Einen einzelnen Frontzahn zu verlieren, ist für die meisten Patienten ein Szenarium, das große Unsicherheit auslöst. Steht die Prognose des Zahnverlusts fest, ist es Aufgabe des Zahnarztes, entsprechende Therapiemöglichkeiten zu präsentieren. Die Sofortimplantation kann bei entsprechender Voraussetzung ein komfortabler Lösungsvorschlag sein und wird immer häufiger zum Mittel der Wahl. Vorteile gegenüber der konventionellen Therapie sind die geringere Anzahl chirurgischer Eingriffe, eine verkürzte Behandlungsdauer, ein verbesserter Patientenkomfort und der bestmögliche Erhalt periimplantärer Strukturen. Mit der direkten Insertion des Implantats in die Extraktionsalveole kann das umliegende Gewebe optimal gestützt werden. Der Knochenabtrag beim Aufbereiten des Implantatbetts ist deutlich reduziert. In der Regel kann lappenfrei gearbeitet werden, sodass das Weichgewebe nur gering traumatisiert wird.
Ausgangssituation
Im vorliegenden Fall konsultierte die zirka 30-jährige Patientin die Praxis mit einem wurzelbehandelten Zahn 22 (alio loco). Der Röntgenbefund zeigte palatinal einen deutlichen Rückgang des marginalen Knochens (Abb. 1). Es wurde eine Parodontitis apikalis chronica diagnostiziert. Außerdem lag der Verdacht einer Wurzellängsfraktur Zahn 22 vor. Zudem zeigte sich ein rezidivierender Infekt im palatinalen Bereich des Zahns 22. Der Zahn musste nach der eingehenden klinischen und radiologischen Diagnostik als nicht erhaltungswürdig eingestuft werden. Die Patientin mit ihren hohen ästhetischen Ansprüchen willigte in den Therapievorschlag „Sofortimplantation“ ein. Ihr primäres Anliegen war eine unauffällige Integration der definitiven Implantatkrone in den Mund. Eine erste Farbbestimmung diente der Herstellung des Sofortprovisoriums.
Chirurgischer Eingriff
Unter Antibiose wurden der Zahn 22 atraumatisch extrahiert und die Alveole gründlich gereinigt. Die bukkale Lamelle blieb erhalten. Als Implantatsystem für die Sofortimplantation kam Nobel Active NP (Nobel Biocare) zum Einsatz. Der sich wurzelförmig erweiternde Implantatkörper sorgt für eine stetige Verdichtung des Knochens, während die Spitze mit zwei Schneiden eine minimale Osteotomie ermöglicht [6]. Diese Funktionen unterstützen das Erreichen einer hoher Primärstabilität [1–3, 7].
Wie bereits dargelegt, ist der periimplantäre Einheilungsprozess auch von der Mikrotopografie der Implantatoberfläche abhängig. Grundsätzlich werden Oberflächen von Titanimplantaten nach unterschiedlichen Methoden bearbeitet. Bewährt hat sich unter anderem die oxidierte TiUnite-Oberfläche. Die verdickte, mäßig raue Titanoxidschicht mit hoher Kristallinität und einem hohen Phosphorgehalt fördert nachweislich die Osseointegration [5, 7, 8]. Das NobelActive-Implantatsystem gilt mit seinem modifizierten Design als ein Vorreiter in diesem Bereich, ist mittlerweile seit zehn Jahren am Markt und wurde bisher in etwa 42 klinischen Studien (mehr als 14.300 Original-Implantate bei rund 2.600 Patienten) wissenschaftlich überprüft.
Das Implantat (3.5 Ø, 13 mm Länge) wurde entsprechend dem Protokoll inseriert und es wurde auf eine palatinale Positionierung geachtet (Abb. 2 und 3). Die Bohrung erfolgte im unteren Drittel der palatinalen Wand. Durch das wurzelförmige Design des Implantatkörpers wurde der Knochen während des Eindrehens verdichtet. Das Implantat wurde so positioniert, dass die Schulter unterhalb des tiefsten Punkts des bukkalen Knochens lag. Wie bei einer Reimplantation konnte die Alveole durch die Sofortimplantation aufrechterhalten werden (Abb. 4). Eine klammerfreie Nylon-Prothese (Valplast) diente nach der Insertion als komfortable Übergangslösung.
Laborgefertigtes Provisorium
Nach einer sechswöchigen Einheilzeit wurde die Situation für das Herstellen eines festsitzenden, zu verschraubenden Langzeitprovisoriums abgeformt. Als einfache Möglichkeit für einen Implantataufbau ist das Nobel Biocare NP-Abutment (provisorisches Abutment) gut geeignet. Um eine saubere Ausformung des Emergenzprofils zu generieren und eine Weichgewebekonditionierung für ein natürliches Implantataustrittsprofil zu schaffen, wurde auf einem Modell mit Gingivamaske gearbeitet. Entsprechend der im Vorfeld bestimmten Zahnfarbe konnte im Labor eine ästhetische, provisorische Implantatkrone mit Verblendkomposit (Vita VM LC, Vita Zahnfabrik) gefertigt werden (Abb. 5). Die Form der provisorischen Krone wurde im basalen Bereich leicht überkonturiert und so leichter Druck auf das Weichgewebe forciert (Abb. 6). Auf diese Weise sollte das Austrittsprofil im Bereich des Implantats optimal ausgeformt werden. Dieses Vorgehen kann gegebenenfalls im Laufe der Einheilung durch das Hinzufügen von Komposit wiederholt und somit selektiv Druck ausgeübt werden. In diesem Fall dauerte die Weichgewebekonditionierung etwa drei Monate (Abb. 7).
Übertragung der Weichgewebearchitektur
Die über den therapeutischen Zeitraum geschaffene Weichgewebearchitektur bot die Grundlage für das individuelle Abutment beziehungsweise für die definitive Restauration. Zunächst musste das ausgeformte Emergenzprofil durch das Anfertigen eines individualisierten Abformpfostens auf das Implantatmodell übertragen werden. Hierfür wurde die provisorische Krone entfernt. Nach dem extraoralen Verschrauben der Krone auf dem Laboranalog NP erfolgte eine Ummantelung mit Knetsilikon. Nach dem Aushärten des Silikons wurde die provisorische Krone vom Laboranalog entfernt und anschließend ein Abformpfosten auf das im Silikon eingebettete Laboranalog fixiert. Der Raum zwischen Abformpfosten und Silikon wurde mit Komposit aufgefüllt (Abb. 8). Der so erarbeitete individualisierte Abformpfosten diente nun für die Implantatabformung mit dem zuvor gefertigten individuellen Löffel (Abb. 9 bis 11). Das Meistermodell entsprach nun auch in der Form des Weichgewebeprofils Regio 22 exakt der Mundsituation. Während die Patientin erneut zufrieden mit dem Langzeitprovisorium versorgt worden war (Abb. 12), fertigte der Zahntechniker die definitive Krone.
Definitive Restauration
Das konsequente, auf das periimplantäre Weichgewebe und das Implantataustrittsproful fixierte Vorgehen verdeutlicht einmal mehr, dass ein konfektioniertes Abutment nicht den Anforderungen an eine funktionell-ästhetische Versorgung im Frontzahngebiet gerecht werden kann. Hier bedarf es eines individuellen Abutments. In diesem Fall wurde das verschraubbare Abutment NobelProcera ASC (Angulated Screw Channel) aus Zirkoniumdioxid hergestellt (Abb. 13). In seiner Dimension entsprach dieses Abutment der verkleinerten Kronenform, wobei das Emergenzprofil exakt der über das Provisorium erarbeiteten Situation glich. Vorteil des ASC-Abutments ist der angulierte Schraubenkanal in einem Winkel von bis zu 25 Grad und einem Radius von 360 Grad. Somit kann der Schraubenkanal unauffällig im Mund platziert werden, im Frontzahnbereich idealerweise im palatinalen Bereich. Ein spezieller Schraubendreher (Omnigrip) sorgt für das sichere und schnelle Einbringen des Abutments in den Mund.
Mit individuell erstellten Farbstäbchen erfolgten eine Farbnahme durch den Zahntechniker direkt am Patienten und im Anschluss die keramische Verblendung (Noritake CZR, Kuraray Noritake) (Abb. 14). Die Makro- und Mikrotextur der keramischen Krone wurde im gewohnten Vorgehen herausgearbeitet. Feine Leisten und ein Wechselspiel aus konkaven sowie konvexen Bereichen unterstützen zusätzlich zu den lichtoptischen Eigenschaften der keramischen Verblendung das natürliche Aussehen der Implantatkrone (Abb. 15).
Nach der Entnahme des therapeutischen Langzeitprovisoriums präsentierte sich das periimplantäre Weichgewebe gesund, gut durchblutet und war wie eine Art Trichter ausgeformt (Abb. 16 und 17). Die Implantatkrone auf Basis des ASC-Abutments (Abb.18) wurde problemlos eingegliedert und fügte sich ästhetisch in die Zahnreihe ein. Einige Monate nach der Eingliederung der Krone offenbarte sich der nachhaltige Therapieerfolg in der Rot-Weiß-Ästhetik. Die Situation ist stabil. Es ist kaum ein Unterschied zu den natürlichen Zähnen wahrnehmbar (Abb. 19 bis 20). Die Implantatkrone tritt wie natürlich gewachsen aus dem Weichgewebe hervor.
Zusammenfassung
Allein die Osseointegration eines Implantats bestimmt nicht den Therapieerfolg; Patienten setzen eine Einheilung des Implantats voraus. Die Versprechen, die ihnen Medien, Forschung, Industrie und Wissenschaft geben, müssen durch den praktizierenden Zahnarzt erfüllt werden können. Dies verlangt zusätzlich zu hochwertigen Produkten und Systemkomponenten ein implantatprothetisches Gesamtkonzept, welches die weiße und rote Ästhetik ebenso berücksichtigt wie die Osseointegration, die Kaufunktion und den Patientenkomfort. Es sind viele Bausteine, die den objektiven, aber auch den subjektiven (vom Patienten wahrgenommenen Therapieerfolg) bestimmen. Im Artikel wurde ein mögliches Vorgehen bei der Übertragung des konditionierten Weichgewebeprofils auf die definitive Restauration dargestellt. Im engen Zusammenspiel zwischen Praxis und Labor konnte mit aufeinander abgestimmten Systemkomponenten – Implantat (NobelActive), provisorischer NP-Aufbau, ASC-Abutment – ein gelungenes Ergebnis erzielt werden.
– Dr. Roberto Sleiter, Egerkingen/Schweiz
– Zahntechnische Umsetzung: Montana Dental AG, Egerkingen/Schweiz
Quelle: DZW Orale Implantologie 2-2018
Das Literaturverzeichnis ist als PDF im ePaper unter dzw.de zu finden oder kann unter leserservice@dzw.de angefordert werden.