Anwendung des All-on-4 Konzeptes beim kompromittierten Patienten

12. Januar 2018

Die Überlebensraten der Implantate im Oberkiefer (92,5-100 %) und Unterkiefer (93-100 %) sowie der prothetischen Restauration (99,2-100 %) beweisen, dass das All-on-4-Konzept vergleichbare Daten zu den konventionellen Verfahren bietet [1, 2, 3] und daher eine praktikable Behandlungsoption für zahnlose Patienten mit atrophierten Kiefern zur Umgehung der konventionellen Vorgehensweise ist [4]. Allerdings muss sehr genau mit dem Patienten abgewogen werden, dass eventuell erhaltungswürdige Zähne für dieses Konzept geopfert werden müssen [5, 6, 7].

 

 

Modulreihe von Dr. med. dent. Stefan Michael Scherg

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Die Patientin (weiblich, 73 Jahre) war sich ihrer insuffzienten dentalen Situation bewusst, aufgrund der von ihr gewünschten festsitzenden provisorischen und endgültigen Versorgung aber auf der Suche nach dem entsprechenden implantologischen Konzept, das ihre Wünsche realisieren kann. Die klinische Situation stellte sich mit einer generalisierten parodontologischen Schädigung der Zähne dar, die Bisssituation hatte sich verändert bzw. war unklar und die Patientin gab an, keine harten Speisen mehr kauen zu können (Abb. 1).

Abb. 1: Die klinische Situation zeigt die verkürzte Zahnreihe im Ober- und Unterkiefer.

 

Abb. 2: Generalisierte fortgeschrittene Parodontitis mit einem vor allem im Oberkiefer stark atrophierten Kiefer.

 

Der Röntgenbefund mittels Panoramaschichtaufnahme bestätigte die generalisierte fortgeschrittene Parodontitis mit einem vor allem im Oberkiefer stark atrophierten Kiefer (Abb. 2) [12]. Im Unterkiefer erschien zumindest das vertikale Knochenangebot für eine umsetzbare implantologische Versorgungsform geeignet zu sein. Um den Wunsch der Patientin einer immer vorhandenen festsitzenden Prothetik zu entsprechen, wurde nach Abwägung und Risikoaufklärung das All-on-4- Konzept zur Versorgung beider Kiefer gewählt, da kein Restzahn eine ausreichende Wertigkeit mehr hatte [1, 5, 41]. Als Schwierigkeit erwies sich die noch vorhandene insuffiziente Restbezahnung und die damit einhergehende unklare Bisslage. Deshalb entschieden wir uns, auch um die Positionierung der Zähne für das Provisorium und den endgültigen Zahnersatz ermitteln zu können, zunächst ein metallverstärktes Kunststoffprovisorium auf wenigen zu präparierenden Restzähnen zu verankern. Dadurch konnten wir auch die PA Situation stabilisieren [8, 9] und durch die abgeheilten Kieferabschnitte eine genauere Planung für die navigierte Schablonenchirurgie durchführen.

Fallbeispiel

Im ersten Behandlungsschritt wurden im Oberkiefer drei und im Unterkiefer zwei Zähne präpariert und zur Herstellung eines laborgefertigten Provisoriums abgeformt. Bei der Eingliederung der Freiendbrücken wurden die anderen Zähne entfernt und die Pfeilerzähne parodontologisch behandelt, um die Keimzahl im Mund zu reduzieren (Abb. 3) [10].

 

 

 

 

 

Abb. 3: Vorbehandlung mit einem Langzeitprovisorium auf ausgewählten Restzähnen

 

 

 

 

Abb. 4: Erstellung eines digitalen Volumentomogramms (DVT) mit passgenauen kunststoffbasierten Röntgenschablonen.

 

Für das geplante navigierte Vorgehen mit digitaler Planung wurden zehn Wochen nach der Extraktion die Abformungen und Anpassungen vorgenommen, sodass mittels Röntgenschablonen das digitale Volumentomogramm (DVT) angefertigt werden konnte (Abb. 4) [42]. Die mittels Doppelscan entstandenen Daten werden mit der Software NobelClinician für die All-on-4-Planung verarbeitet [15]. Wegen der im Oberkiefer stärker vorhandenen horizontalen und vertikalen Atrophie mit mesiokaudaler Ausdehnung der Kieferhöhlen planten wir nach dem Prinzip von Prof. Maló zwei distal nach mesial angulierte Implantate [2, 11]. Aufgrund der gewünschten Sofortversorgung wählten wir das NobelActive Implantatsystem aus, da damit im kortikospongiösen Knochen des Oberkiefers eine prognostizierbare Primärstabilität erzielt werden kann [13, 14]. Mit der NobelClinician Software können gleichzeitig alle anderen chirurgischen und prothetischen Komponenten mit geplant und geordert werden. Der Unterkiefer verfügte über ein ausreichend vorhandenes vertikales Knochenangebot, sodass im 3. Quadrant auf eine Angulierung verzichtet werden konnte. Im 4. Quadrant ermöglichte die Neigung des Implantates die Planung einer längeren Fixtur, lediglich im Frontbereich mussten aufgrund des schmalen Kiefers Implantate des Durchmessers NP (3,75 mm) verwendet werden. Im kortikaleren Unterkiefer nutzten wir den Vorteil der identischen prothetischen Plattform der CC Verbindungen bei Nobel Biocare, sodass wir hier der knöchernen Situation angepasst das NobelParallel Implantat auswählten, um chirurgisch die Vorteile einer parallelwandigen Fixtur zu nutzen. Prothetisch sind das Prinzip, das Vorgehen und die verwendeten Komponenten aber identisch zum NobelActive System (Abb. 5, 6).

 

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Abb. 5a, Abb. 5b, Abb. 5c

                                

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Abb. 6a, Abb. 6b, Abb. 6c                                 

Am Ende der digitalen Planung steht die zentrale stereolithografische Fertigung der beiden OP-Schablonen. Da wir das Navigationssystem sowohl als chirurgisches als auch als prothetisches System sehen, bereiten wir das Sofortprovisorium präoperativ bereits soweit wie möglich vor [19, 43]. Dazu passt der Zahntechniker die OP-Schablone auf das vorhanden Modell auf und bringt mit einem Übertragungssystem die Modellanaloge exakt in der geplanten Position ins Modell. Das metallverstärkte Kunststoffprovisorium wird an einem nicht rotationsgesicherten temporären Abutment vollständig befestigt, die anderen drei Abutments für die Anpassung im Mund zugeschliffen und das Provisorium an diesen Stellen ausgespart (Abb. 7).

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Abb. 7a 

      Abb. 7b                                        

Abb. 7a-7b: Vorbereitetes Provisorium zur Anpassung im Mund und Modellherstellung mittels OP-Schablone.

 

Implantation

Unter antibiotischer Abschirmung (Amoxicillin 875mg / Clavulansäure 125mg; 1-0-1) [40] erfolgte in Lokalanästhesie zunächst die Entfernung der restlichen Zähne im Ober- und Unterkiefer. Nachfolgend konnten die beiden OP-Schablonen mittels vorbereitetem Splint eingesetzt werden (Abb. 8).

Abb. 8: Fixierung der OP-Schablonen mit den Anchor Pins des NobelGuide Systems.

 

Im Oberkiefer markierten wir an den geplanten Implantationsorten durch die Schiene hindurch die Schleimhaut. Nach Abnahme der OP-Schablone konnte entschieden werden, an welcher Stelle eine rein transgingivale Vorgehensweise und wo zur Erhaltung eines ausreichend breiten bukkalen Bandes von attached Mucosa besser ein offenes Vorgehen von Vorteil ist (Abb. 9) [33, 34, 35].

Abb. 9: Verlagerung der keratinisierten Mucosa zur Erhaltung eines Bandes von attached Weichgewebe.

 

Nach der Repositionierung der OP-Schablone wurden zunächst die beiden Implantate regio 12 und 22 zusammen nach dem Protokoll des NobelGuide Systems aufbereitet und mittels Einbringhilfe positioniert (Abb. 10).

Abb. 10: Einbringen der NobelActive Implantate im Oberkiefer.

 

Die Schablone wurde durch zwei Template-Abutments zusätzlich stabilisiert. Bei der Insertion der beiden geneigten Implantate ist darauf zu achten, dass die Ausrichtung des Index in der konischen Implantat Abutment Verbindung des Implantates der gewählten Positionierung des Zahntechnikers entspricht, damit das indexierte Multi-Unit Plus Abutment identisch der Modellsituation sitzt. Nach Abnahme der OP-Schablone wird das Drehmoment der inserierten Fixturen mit der Ratsche getestet und sollte für die Sofortversorgung mindestens 35 Ncm groß sein (Abb. 11).

Abb. 11: Die Implantate werden mit den ausgewählten Multi-Unit Zwischenstücken versehen und mit jeweils 35 Ncm Drehmoment befestigt.

 

Durch die Auswahl des NobelActive Implantates mit seinen speziellen Eigenschaften (Doppelgewinde, schneidend ausgeprägte Flanken, knochenverdichtende Aufbereitung) ist dieses Ziel auch bei einem reduzierten Alveolarkamm zu erreichen [36,37]. Anschließend erfolgte die Implantation im Unterkiefer mit der vorbereiteten Schablone, die mittels Oberkieferschablone und Splint fixiert werden konnte. Das Vorgehen bei der Aufbereitung und Insertion erfolgte parallel dem Procedere im Oberkiefer. Das NobelGuide System ermöglicht mit dem identischen Instrumentarium auch die Insertion der NobelParallel Implantate, die im Unterkiefer aufgrund des parallelwandigen Designs eine hohe Primärstabilität ohne Gefahr einer zu starken Komprimierung des Knochens gewährleisten (Abb. 12) [38, 39].

Abb. 12: Versorgung im Unterkiefer mit Nobel- Parallel Implantaten.

 

Nach Prüfung der Stabilität und Einbringen der Multi-Unit Plus Komponenten konnte die spannungsfreie Adaption der vorbereiteten Provisorien direkt im Mund mittels lichthärtendem Kunststoff erfolgen [16, 17, 18](Abb. 13).

Abb. 13: Verwendung der neuen temporären Snap Abutments mit der „Klick“ Funktion, wodurch die Komponenten zur Fixierung nicht festgeschraubt werden müssen.

 

Abb. 14: Abschluss der OP mit Sofortimplantaten und Sofortversorgung.

 

Dabei zeigte sich nur eine geringe Korrekturnotwendigkeit der Bisssituation [27, 28, 29, 30]. Extraoral konnten die Brücken dann vervollständigt und poliert werden, sodass zum Abschluss die Brücken mit einem Drehmoment von 15 Ncm eingeschraubt werden konnten (Abb. 14) [31]. 

Nach einer komplikationslosen Einheilphase von fünf Monaten konnten die osseointegrierten Implantate mit den vom Zahntechniker mit Kunststoff vorbereiteten klickbaren Snap Abutments im Mund spannungsfrei verbunden werden (Abb. 15).

Abb. 15: Spannungsfreie Adaption des Gerüsts im Mund.

 

Nach der Bissnahme erfolgte die Überabformung zur Herstellung des Meistermodells. Auf diesem gestaltete der Zahntechniker den Steg zu einem Brückengerüst um, da als defnitive Versorgung ein verschraubtes Brückengerüst aus Titan mit Kunststoffverblendung geplant war [32]. Anschließend erfolgte die Digitalisierung (CAD) und die Fertigung des Titanbrückengerüstes (CAM) als Procera Implant Bridge [23, 24, 25, 26]. Aufgrund der Atrophie des Oberkiefer war hier eine Basis aus rosa Kunststoff notwendig, während beim Unterkiefer darauf verzichtet werden konnte (Abb. 16, 17) [20].

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Abb. 16                                          Abb. 17 

Abb. 16 und Abb.17: Definitiv verschraubte Versorgung auf einem CAD/ CAM-gefertigten Titangerüst mit wrap around Kunststoffzähnen und Kunststoffbasis.

 

Abb. 18: Panoramaschichtaufnahme der eingegliederten Versorgung.

 

Am Ende der Behandlung stand eine zufriedene Patientin, deren realistischen Wünsche durch die Anwendung des All-on-4 Konzeptes umzusetzen waren (Abb. 18, 19) [18, 21, 22]. 

Zahntechnik: ZTM Harald Hlavàcek, Karlstadt

 

Dr. med. dent. Stefan Michael Scherg

  • 1990-1995 Zahnmedizinstudium an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg
  • Nov. 2002 Praxisverlegung nach Karlstadt, Praxisschwerpunkte: Parodontologie, Implantologie, Endodontie, Ästhetische Zahnheilkunde
  • 2002 Gründung einer eigenen Firma: Fortbildungsinstitut Schöne Zähne: www.zahnarzt-scherg.de
  • 2003 DGZI Zertifizierung Implantologie
  • Promotion zum Dr. med. dent an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zum Thema „Stabilität der Schraubenverbindung bei konventionellen und abutment freien Implantatbrücken“

Kontakt: 

praxis@zahnarzt-scherg.de

www.zahnarzt-scherg.de

 

Quelle: PIP 06-2017

 

 

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